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Kultur: Anthony Sampsons schreibt über das Leben des schwarzen Märchenhelden vom Kap

Kurz vor den zweiten freien Wahlen hatte Nelson Mandela noch einmal einen großen Auftritt im südafrikanischen Fernsehen: Zwei Journalisten durften den großen alten Mann Anfang Juni noch einmal befragen. Brüchig ist seine Stimme geworden, der Körper hinfällig - ungebrochen jedoch ist der Mythos, der den heute 81-jährigen umgibt.

Kurz vor den zweiten freien Wahlen hatte Nelson Mandela noch einmal einen großen Auftritt im südafrikanischen Fernsehen: Zwei Journalisten durften den großen alten Mann Anfang Juni noch einmal befragen. Brüchig ist seine Stimme geworden, der Körper hinfällig - ungebrochen jedoch ist der Mythos, der den heute 81-jährigen umgibt. Und ihn gefangen hält. Selbst die Kulisse des TV-Interviews - die Wohnzimmerwand Mandelas - erinnert an die 10 000 Tage Haft, die er zum großen Teil auf der Gefangeneninsel Robben Island verbringen musste: Es ist eine hohe Wand aus unverputzten Backsteinen, bedrohlich wirkt sie und unbehaust. "Ich freue mich, zum zweiten Mal aus dem Gefängnis befreit worden zu sein", sagte er denn auch nach seiner Demission als Präsident des Landes am Kap vor wenigen Tagen - doch das Gefängnis im Atlantik, das Gefangensein vor den Stränden Kapstadts, das Anrennen gegen die Mauern im engeren und im übertragenen Sinne sind Fixpunkte in seinem Leben geblieben: Mandela umgibt sich gerne mit Kindern, denen derartige Beschränkungen fremd sind.

"Es ist ein Mythos, der Kinder und Erwachsene gleichermaßen fasziniert, das beliebteste Märchen auf der ganzen Welt: der Gefangene, der aus dem dunklen Verlies befreit wird, der Arme, der sich als Prinz entpuppt, der Schwarze Mann, der am Ende ein weiser Mann ist" - so erklärt sich Anthony Sampson und seinen Lesern die ungeheure Popularität dieses Mannes. Sampson, einer der bekanntesten britischen Journalisten, konnte für seine Biografie aus einer Fülle von Material schöpfen: unveröffentlichte Aufsätze und Tagebücher, Briefe Mandelas an Freunde und Gefährten, Geheimdienstunterlagen und diplomatische Dossiers. Darüber hinaus führte Sampson unzählige Interviews mit Wegbegleitern, Freunden und Gegnern Mandelas. Der Biograf ist mit Südafrika seit den fünfziger Jahren vertraut. Er war ab 1950 Redakteur des Schwarzen-Magazins "Drum" in Johannesburg; Mandela autorisierte diese Biografie - und das ist mehr als verständlich.

Sampson lässt das Image des Mannes, dessen Familie den hohen Preis für das lebenslange Engagement des Politikers bezahlt (und beklagt), unbeschädigt. Damit befindet sich Sampson unfreiwillig in jenem Dilemma, das auch die 1998 erschienene Mandela-Biografie von Martin Meredith belastet: Der Machtpolitiker Nelson Mandela ist nicht Gegenstand der Betrachtung, seine Stellung im Rassismus am Kap kein Thema, zugleich entzieht sich der Mensch Mandela der Kenntnis der Biografen.

Während Meredith den Mandela-Mythos bereits im Untertitel ("Ein Leben für Frieden und Freiheit") beschwört, gelingt es Sampson immerhin, hinter die Kulissen dieses Werdegangs zu schauen: er missrät nicht zum journalistischen "Werbegag". Sampson weiß zu berichten, wer einen prägenden Einfluss auf Mandelas persönliche und politische Entwicklung nahm (Walter Sisulu), welche Vorlieben der junge Nelson hatte, die auch den alten Mandela umtreiben (Lifestyle), wo er sich schließlich Selbstbeherrschung als Lebensprinzip aneignete (im Gefängnis).

Sampson bleibt dabei stets deskriptiv, doch nie an der Oberfläche: "Niemand will mit Nelson Schach spielen, da er drei Tage für ein Spiel braucht", zitiert Sampson einen Zeitzeugen, "aber das ist Teil seines Charakters. Manchmal ist er sehr undurchsichtig, langsam, dennoch sehr geistreich und geschickt". Ob und wo sich dieser Charakterzug in der Politik des African National Congress (ANC) unter Mandela wiederfinden lässt, bleibt in Sampsons Buch zwar offen, doch schmälert dies nicht dessen Vorzüge: Der Journalist schildert in spannender Form, auf der Grundlage solider Recherchen, Mandelas Bewegungen in den politischen Zeitläuften. Südafrika wird dabei indessen nicht als von wirtschaftlichen Interessen bestimmter Organismus begriffen, sondern als Tollhaus beschrieben. Sampson folgt damit dem Weg eines Märchenerzählers, dessen Held umso heller leuchtet, desto finsterere Mächte wirken. So hat auch Sampson Mandelas zweiter Ehefrau Winnie die Rolle der Hexe angedichtet, während die aktuelle Nummer Eins - Graca Machel - als gute Fee aus den Seiten springt. Die vorliegenden Biografien zeigen, dass Nelson Mandelas Geschichte - und die seiner Freunde - derzeit als modernes Märchen erzählt wird. Solange sie nicht gestorben sind.Anthony Sampson: Nelson Mandela. Die Biografie. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1999. 768 Seiten. 58 DM.

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