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Kultur: Anti-Idyll

Gerbrand Bakkers böser Landroman „Oben ist Stille“

Dass das Leben auf dem Land nicht immer idyllisch ist, ist eine nicht unbedingt neue Einsicht. „Oben ist es still“, der Roman des Niederländers Gerbrand Bakker, beginnt damit, dass Helmer von Wonderen, 55 Jahre alt, Bauer in der tiefsten Provinz, sein Leben aufräumt: Er verfrachtet den schwerkranken und gehunfähigen Vater in ein Zimmer im ersten Stock, schafft sich neue Möbel an und kümmert sich nicht darum, was oben vor sich geht. Der Vater hat Hunger oder muss aufs Klo? Macht nichts. Vielleicht wird Helmer sich darum kümmern. Vielleicht auch nicht. Nach und nach wird klar, dass Helmer diesen hilflosen Mann hasst. Dann trifft ein Brief ein. Absenderin ist Riet, die Ex-Freundin von Helmers vor mehr als 30 Jahren tödlich verunglücktem Zwillingsbruder Henk. Und dieser Brief ist der Auslöser für eine Erinnerungslawine, die Helmer trifft. Vor allem sind es die Gedanken an den Vater, der den Bruder stets vorgezogen hat und zwang, sein Literaturstudium aufzugeben und Bauer zu werden. An ein Leben unter Zwängen und Demütigungen. An eine Existenz, die Helmer nie führen wollte, eine falsche Existenz. Derjenige, der dafür verantwortlich ist, liegt jetzt da oben und ist still. Gut so.

Gerbrand Bakker, dessen Werk bislang nur ein Kinderbuch umfasst, bedient sich einer knappen Sprache, die immer wieder situative Komik erzeugt, andererseits aber auch erahnen lässt, welche Tragik hinter der Wortkargheit stecken mag. Und Bakker entwickelt eine Zuneigung zu seinem Protagonisten, die ansteckend ist. Der pflichtbewusste und verklemmte (aber keineswegs dumme) Helmer wird urplötzlich zum Sympathieträger – und das, obwohl jederzeit klar ist, dass er zu seinen Kühen, Schafen und Eseln ein wesentlich liebevolleres Verhältnis pflegt als zu seinem Erzeuger. Das ist eine durchaus kunstvolle Ambivalenz. Neu ist diese literarische Anti-Idylle nicht. Aber Bakker gewinnt ihr überraschende Momente ab. Und ein beunruhigendes Gefühl über die Stille da oben. Christoph Schröder

Gerbrand Bakker: Oben ist es still. Roman. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2008, 316 S., 19,80 €.

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