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Lottmanns Roman "100 Tage Alkohol": Antiheldenplatz

Schwadroneur und Schelm: Der ewig potenzielle Erfolgsautor Joachim Lottmann sucht in „100 Tage Alkohol“ menschliche Nähe.

Der Titel dieses Buches führt natürlich in die Irre, wie es sich für den 1956 geborenen Schriftsteller und leidenschaftlichen Lügenbaron Joachim Lottmann gehört. Von Alkohol ist in „100 Tage Alkohol“ wenig die Rede, denn Lottmann verträgt und mag keinen Alkohol, „ich mochte eigentlich nur Getränke, die es in Lokalen nicht gab: Damenliköre, Eckes Edelkirsch, Eierlikör, so etwas in der Art“. Den gängigen Alkohol lässt er lieber seinen alten Kumpel Manfred Krenz trinken, den es einst, wie nun auch Lottmann, nach Wien verschlagen hat, weil er als „Unterhaltungskünstler von höchstem intellektuellen Niveau“ in Deutschland zu bekannt war.

Bei Lottmann, der sich genauso gern wie selbstironisch „Erfolgsautor“ nennt, „einer der fünf besten deutschen Autoren“, verhält sich das mit dem Umzug nach Wien allerdings anders, er erinnert mehr an eine Flucht. Davon erzählt er nun in seinem Buch „100 Tage Alkohol“, das bei einem österreichischen Verlag erschienen ist und den Untertitel „Kein Roman“ trägt. Lottmann – oder sagen wir lieber, sicher ist sicher: sein Ich-Erzähler, der auch Joachim Lottmann heißt oder kurz „Jolo“ – ist in Berlin wegen sexueller Belästigung angezeigt worden, von einer Kollegin, die er nur Groupie nennt. Telefonisch soll er das getan haben, mit Worten wie „das Eigentliche“ und „menschlich“, mit der Forderung nach „mehr menschlicher Nähe“.

Lottmann fühlt sich vor den Kopf gestoßen, regelrecht aus der Lebensbahn geworfen, und beschließt kurzerhand, das Land zu verlassen, nicht zuletzt weil ihm die Fälle von Julian Assange, Jörg Kachelmann und Dominik Strauss-Kahn eine Warnung sind. Er fährt in die Schweiz, landet in einer „Hippie-Kommune“, die eigentlich eine psychiatrische Klinik ist, die von einer Ex-Kommunistin geleitet wird, und macht sich schließlich eines schönen Tages auf den Weg nach Wien, weil er irrtümlich glaubt, dass es dorthin von Zürich aus nur ein Katzensprung ist.

Lottmanns wie üblich locker dahingeschriebenes, mit vielen lustigen Abschweifungen versehenes Buch hat etwas von einem Roadmovie. Es erinnert an seinen Erstling „Mai, Juni, Juli“ aus den achtziger Jahren, in dem ein Schriftsteller ohne Stoff versucht, ein Buch zu schreiben, eben „Mai, Juni, Juli“. Das Thema von „100 Tage Alkohol“ aber soll „die Pornografisierung von Staat und Gesellschaft im Zeitalter des eskalierenden Turbokapitalismus“ sein. Lottmann gibt sich unschuldig – und gezielt politisch inkorrekt. Er outet sich als Porno-Feind, ereifert sich über den allgegenwärtigen „Porn-Style“, den „inhumanen, reglementierten, kommunikationslosen Pornosex“ – und darüber, dass ihm von Groupies übel mitgespielt wurde. Andererseits begegnet er unentwegt sabbernd „EvaBraun-Fräuleins“, unschuldigen Schweizer Mädchen, jungen Osteuropäerinnen, hat Verständnis für Kachelmann, Assange und Co und ist überzeugt davon, sich in Wien „eine dauerhafte Freundin organisieren zu müssen“.

Die ausgestellte Onkeligkeit in diesem Buch ist mitunter bemitleidenswert, und wenn Lottmann provoziert, hat das was Rührendes. Überzeugender ist er als Schwadroneur und Schelm, der schnell Zugang zu Wiener Künstlerkreisen bekommt und sich im Café Anzensgruber seine Essays in der „Zeit“ herbeiimaginiert. Der stets auf die Füße fällt, in Schlössern, dem Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten oder der ihm zugeteilten ehemaligen Ernst-Jandl- Wohnung. Denn natürlich fährt unser Mann in Wien gut auf dem Porno-Ticket, öffnet ihm doch ein Kulturfunktionär alle Türen, als er am Ende eines zunächst unangenehmen Gesprächs darauf hinweist, einen Roman über „die zunehmende Pornografisierung von Staat und Gesellschaft in Österreich schreiben zu wollen“. Blöd nur, dass die Titelrechte für „Porno“ woanders liegen.

Ob der Gegenwartsliteraturfetischist Joachim Lottmann mit diesem Buch jedoch „echte Gegenwartsliteratur“ geschrieben hat, Literatur, „die den Lesern eine unbändige Kraft“ gibt, wie er dem Kulturfunktionär beizubringen versucht? Bei der Gegenwart, die Lottmann im Blick hat, handelt es sich nur um einen sehr, sehr kleinen Ausschnitt unserer Gegenwart, es ist die pure Lottmann-Gegenwart. „100 Tage Alkohol“ taugt da nicht einmal als Wien-Roman, in dem mehr als der Stephansdom, die Kärntnerstraße und der Heldenplatz vorkommen. Lottmann schreibt eben nur echte Lottmann-Literatur. Wenn diese ihm beim Schreiben so viel Spaß bereitet wie dem Leser bei der Lektüre, muss Lottmann um seinen Status als potenzieller Erfolgsautor nicht bange sein. Gerrit Bartels

Joachim Lottmann: 100 Tage Alkohol. Kein Roman. Czernin Verlag, Wien 2011. 163 Seiten, 19, 80 €.

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