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Gelungene Kooperation. Antiker Kopf, 2011 für die Berliner Pergamon-Ausstellung restauriert. Der Hinterkopf stammt aus der Antikensammlung der Staatlichen Museen, ein Abguss des Gesichts wurde mit Sondergenehmigung in der Türkei erstellt.

© Kai-Uwe Heinrich

Antikenstreit zwischen Deutschland und Türkei: Archäologie ist Politik

Deutschland und die Türkei streiten um die Antiken. Ankara fordert Kunstschätze zurück und wirft deutschen Archäologen Schlamperei vor. Berlin schweigt. Doch an den Grabungsstätten vor Ort zeigt sich: Die wissenschaftliche Kooperation funktioniert.

Wer dieser Tage mit deutschen Archäologen spricht, erlebt oft eine angespannte Atmosphäre. Seit dem „Spiegel“-Interview mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, zur Eröffnung der Amarna-Ausstellung im Neuen Museum im Dezember und erst recht seit dem Folge-Interview diese Woche mit dem türkischen Kultur- und Tourismusminister Ömer Celik ist klar: Wer nach der geforderten Rückgabe von Berliner Kulturschätzen fragt oder nach dem Vorwurf der Schlamperei auf deutschen Grabungsstätten, der betritt ein Minenfeld. So schweigt sich das Deutsche Archäologische Institut zu Celiks Vorwürfen bislang ebenso aus wie die Staatlichen Museen Berlins.

Das liegt zum einen daran, dass keiner schlafende Hunde wecken will. Der jahrelange Streit um Nofretete, die Ägypten von Berlin zurückverlangte, hat die Museumsleute zermürbt. Was, wenn die Türkei den Pergamonaltar zurückfordert? Ömer Celik hat dies nun deutlich verneint. Ist es umgekehrt diplomatisch geschickt, wenn die Deutschen dem Ischtar-Tor, einer weiteren Hauptattraktion der Berliner Museumsinsel, eine Briefmarke widmen? Das antike Babylon, aus dem das Tor stammt, liegt im heutigen Irak.

Bei Rückgabeforderungen national zu argumentieren, wäre für viele Länder fatal, eine Kette ohne Ende. Ein Beispiel aus der Türkei: Die Nekropole von Sidon ist das Herzstück des Istanbuler Archäologischen Museums, aber gehört sie nicht eher ins Nationalmuseum Beirut? Vor 100 Jahren war Sidon Teil des Osmanischen Reiches, heute liegt es im Libanon. Andererseits: Die Osmanen haben diesen Sensationsfund bewahrt und erforscht, und die Türkei hütet ihn nun.

Die Lage bei internationalen Grabungen ist oft kompliziert. In der Türkei sind die Deutschen derzeit an elf Orten aktiv, der Vorwurf mangelnder Sicherheits- und Restaurierungsmaßnahmen ist weitgehend absurd. Zum Beispiel das Projekt „Ursprung, Entwicklung und Weiterleben der Hethitischen Kultur im Mittleren Schwarzmeergebiet“ mit Ausgrabungen am Oymaagac Höyük in der nördlichen Zentraltürkei. Hier arbeitet seit fünf Jahren Jörg Klinger vom Institut für Altorientalistik der Freien Universität Berlin. Eine Grabungslizenz erhielt er schnell, erforschte dann das Gelände und beantragte auf Basis der gewonnenen Daten Fördermittel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Gemeinde stellte eine ehemalige Schule als Grabungshaus zur Verfügung. Nach Beendigung des Projekts wollen die Berliner das Haus zum Museum machen, denn der nächste Ausstellungsort liegt 80 Kilometer entfernt.

Berliner Archäologen planen kleines Museum

Gute Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden: Blick auf die Grabung des Instituts für Altorientalistik und des Instituts für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität in Oymaagac Hüyük in der nördlichen Zentraltürkei. Die Berliner Archäologen pflegen einen guten Kontakt zu den Bewohnern des Dorfes. Das Dorf hat ihnen eine alte Schule als Grabungshaus zur Verfügung gestellt, das die Berliner nach Beendigung der Arbeiten als regionales Museum zur Grabung ausbauen wollen. In der Grabung zu sehen: Projektleiter Rainer Czichon.
Gute Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden: Blick auf die Grabung des Instituts für Altorientalistik und des Instituts für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität in Oymaagac Hüyük in der nördlichen Zentraltürkei. Die Berliner Archäologen pflegen einen guten Kontakt zu den Bewohnern des Dorfes. Das Dorf hat ihnen eine alte Schule als Grabungshaus zur Verfügung gestellt, das die Berliner nach Beendigung der Arbeiten als regionales Museum zur Grabung ausbauen wollen. In der Grabung zu sehen: Projektleiter Rainer Czichon.

© Nerik-Projekt

„Wir arbeiten wunderbar mit den Behörden zusammen“, sagt Klinger. Die Türken haben ein Interesse daran, die Grabung auch touristisch zu nutzen. Der Beitrag der Deutschen ist das geplante Museum, außerdem haben die Archäologen mit einem Bauwissenschaftler ein Diplomthema für Studenten entwickelt, darüber, wie einheimische Handwerker mit eigenen Mitteln Schutzdächer für die Grabungen bauen können. Auch das eine vertrauensbildende Maßnahme. Zudem ist die Grabung mit türkischen Tafeln beschriftet; die Bevölkerung interessiert sich zunehmend für die Arbeit der Deutschen. So schafft man Identität, ein Mittel, um auf lange Sicht vielleicht auch dem Problem der Raubgrabungen beizukommen.

Eine Grabungslizenz wird pro Projekt einmal vergeben, aber jedes Jahr müssen die Archäologen aufs neue eine Arbeitsgenehmigung beantragen. Ein Kommissar achtet auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards. 2012 erhielt Klingers Team allerdings bloß eine Genehmigung für Konservierung und Aufarbeitung der Ergebnisse. Ein neues Areal konnten die Berliner nicht erschließen. In den nächsten Wochen soll über die nächste Genehmigung entschieden werden.

Die Veröffentlichungen der Grabungen erfolgen auch auf Türkisch. Forderungen, wie jüngst in Syrien erhoben, Publikationen grundsätzlich auf Deutsch und in der Landessprache zu verfassen, hält Klinger jedoch für problematisch: „Forscher müssen Fremdsprachen beherrschen, um die grundlegende wissenschaftliche Literatur zu lesen. Das geht uns genauso.“

Seit etwa zehn Jahren lässt sich ein wachsendes Selbstbewusstsein der Türkei und der Staaten des Nahen Ostens beobachten, das sich auch beim Umgang mit Kulturschätzen bemerkbar macht. Die Länder haben erkannt, dass man Touristen nicht nur mit Strand und Sonne locken kann, sondern auch mit Kultur. Zumal Kulturtouristen in der Regel mehr Geld ausgeben als All-Inclusive-Strandurlauber. So ist es kein Zufall, dass in Ländern wie Jordanien, der Türkei oder den palästinensischen Gebieten das Tourismusministerium mittlerweile auch für die Antikenverwaltung zuständig ist. Warum soll sich aus einer Grabung nicht ein wissenschaftlicher und ein touristischer Nutzen ziehen lassen? Sie kann der Deviseneinnahme und zugleich der nationalen Identität dienen, einem verstärkten Wissen und Verständnis für die eigene Geschichte, das dann wiederum „dem Schutz der Altertümer zugute kommt“, wie Klinger glaubt.

Das Problem der Raubgrabungen und des illegalen Kunsthandels ist damit jedoch nicht gelöst. Andreas Müller-Karpe, Leiter des Vorgeschichtlichen Seminars der Universität Marburg, beklagt, dass sich „Deutschland zur Drehscheibe des illegalen Antikenhandels entwickelt hat, ohne dass deutsche Behörden angemessen reagieren“. Dass der Zoll die illegale Einfuhr von Schildkröten und Elfenbein mit Nachdruck verfolgt, aber bei Antiken keinen vergleichbaren Eifer an den Tag legt, habe dem Ansehen Deutschlands nicht gut getan. Auch nicht, dass das Kulturgüterrückgabegesetz erst 2008 verabschiedet wurde, 38 Jahre nach der entsprechenden Unesco-Konvention. Zudem können nur jene Objekte zurückgefordert werden, die im Bundesanzeiger aufgelistet sind. Illegale Antiken tauchen dort in der Regel nicht auf. „Da hat die Lobby der Antiquitätenhändler gesiegt.“

Auf geotektonische Prozesse haben Archäologen keinen Einfluss

Noch eine Grabungsstätte, an der deutsche Archäologen forschen: Milet. Der türkische Kultusminister Ömer Celik sagte nun dem "Spiegel", hier werde seit 114 Jahren "gegraben und gearbeitet, doch ist bis heute nicht einmal für den Wasserabfluss gesorgt. Teile eines Weltkulturerbes stünden unter Wasser. Hier der Athena-Tempel in Milet - auf trockenem Fuß.
Noch eine Grabungsstätte, an der deutsche Archäologen forschen: Milet. Der türkische Kultusminister Ömer Celik sagte nun dem "Spiegel", hier werde seit 114 Jahren "gegraben und gearbeitet, doch ist bis heute nicht einmal für den Wasserabfluss gesorgt. Teile eines Weltkulturerbes stünden unter Wasser. Hier der Athena-Tempel in Milet - auf trockenem Fuß.

© Türkisches Kultur- und Tourismusministerium Ankara/dpa/tmn

Müller-Karpe plädiert dafür, auf die vom türkischen Kulturminister erhobenen Vorwürfe gelassen zu reagieren. Die deutsche Seite hatte bei der Rückgabe von Kulturgütern lange gemauert. Erst 2011 wurde die Sphinx von Hattuscha zurückgegeben, die seit dem Ersten Weltkrieg im Berliner Museum für Vorderasiatische Kunst aufbewahrt war. Vorausgegangen waren ultimative Drohungen aus der Türkei, Grabungslizenzen zu entziehen. Im Gegenzug hatten die deutschen Museumsleute auf offene Ohren bei der Bitte um Leihgaben gehofft – bislang vergeblich.

Bei den archäologischen Projekten, so Müller-Karpe, kommt man mit pauschalen Verurteilungen nicht weiter. Dass die deutsche Grabungsstätte in Milet zum Teil unter Wasser steht – wie Ömer Celik moniert –, liege nicht an Schlamperei, sondern daran, dass die westanatolische Platte nach Westen hin absinkt. Ein geotektonischer Prozess, der es mit sich bringt, dass das Gelände regelmäßig nass wird.

Dass ein Rückgabestreit auch einvernehmlich gelöst werden kann, zeigte sich bei der Eröffnung der Amarna-Ausstellung im Dezember. Ein letztes Mal ging es um Nofretete. Während Kulturstaatsminister Bernd Neumann den deutschen Standpunkt überdeutlich ausführte, konstatierte Ägyptens Botschafter Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy ebenso klipp und klar: Nofretete gehört nach Berlin.

Pauschale Lösungen gibt es nicht, jeder Fall muss einzeln betrachtet werden. Im Westen sollte man sich darauf einstellen, dass mit dem Selbstbewusstsein im Vorderen Orient auch die Sensibilität für das Thema gewachsen ist. Die Welt hat sich verändert, es versteht sich von selbst, dass man mit den Wissenschaftlern vor Ort auf Augenhöhe verhandelt und kooperiert. Archäologie ist nicht nur eine kulturelle Disziplin, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor und ein Politikum, dessen Bedeutung mit zunehmendem Geschichtssinn immer mehr Menschen bewusst wird. Und das nicht nur hierzulande.

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