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Kultur: Antipode

Thielemann und die Münchner Philharmoniker

Es muss eine Genugtuung für Anton Bruckner gewesen sein, 1885 dem „löblichen Comité“ der Wiener Philharmoniker eine Aufführung seiner 7. Sinfonie zu untersagen. Was sollte er sich in Österreich weiter demütigen lassen, wenn man ihn in Deutschland liebte? Vor allem in München hatte ihn das Publikum geradezu in den Himmel gehoben.

Wenn Christian Thielemann, der ehemalige Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, nun mit eben jener Brucknerschen „Siebten“ seine Rückkehr nach Berlin feiert, dann ist das auch als Spitze gegen jene Stadt gedacht, die ihm so sehr am Herzen liegt und in der ihm doch so übel mitgespielt wurde. Seht her, sagt diese Programmwahl, ich habe mein Glück in der Fremde gemacht. Als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker gastiert Thielemann mit seinem Orchester in der ausverkauften Philharmonie.

Ein anderer Ort wäre für den Maestro kaum infrage gekommen, denn Thielemann stilisiert sich ganz bewusst als Antipode Simon Rattles. Während der Berliner Philharmoniker-Chef in seinen ersten Jahren stilistisch möglichst vielseitig arbeitet, stürzt sich Thielemann in München aufs Kernrepertoire von Beethoven bis Bruckner. So anachronistisch in Zeiten geistiger Weltläufigkeit dieses Beharren auf nationalem Spezialistentum anmutet – Thielemanns Münchner haben ihn noch, den jüngst so viel beschworenen „deutschen Klang“. In Pfitzners „Palestrina“-Vorspielen zeigen sie ihn gleich vor, dunkel, matt, pudrig – ideal, um diese düstere Musik aus fernen Klangwelten zu beschwören.

Und doch wird der Zusammenklang auch schnell zum dichten Tann, durch den nur wenig Licht hindurchdringt. Das wirkt befremdlich in der Philharmonie, wo man es gewohnt ist, dass Klarheit herrscht, der helle Schein der Aufklärung, auch bei Bruckner. Hier hat Kent Nagano in die Seele eines Zerrissenen geblickt. Hier hat Rattle die Entladungen der apokalyptischen Choräle ins beißend-blendende Licht einer neuen Zeit getaucht.

Thielemanns „Siebte“ dagegen zeigt eine Welt, die immer nur im Werden begriffen ist, kein Vergehen kennt. Die Klangmassen türmt er auf zu einer Monumentalarchitektur wie beim Berliner Dom, dann bricht die Musik ab, setzt erneut an, drängt dem nächsten Höhepunkt entgegen, als wäre nichts geschehen.

Thielemanns Ideal ist das Kunstwerk, das auratisch aufstrahlt im Augenblick seines Erklingens. Sergiu Celibidache, sein Vor-Vorgänger in München, konnte gerade Bruckner zu existenziellen Hörerlebnissen machen. Thielemann ist davon an diesem Abend so weit entfernt wie von dem, wo seine Heimat Berlin derzeit ästhetisch steht.

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