zum Hauptinhalt

Kultur: Antworten von

VORWAHL (4)

John von Düffel

Wir haben Künstlern und Schriftstellern drei Fragen gestellt. 1. Deutschland und der Reformstau: Welche Reformen halten Sie für am dringlichsten – und was wäre Ihre Lieblingsreform? 2. Schröder contra Stoiber: Welchen Rollen-Typus verkörpern die beiden Staatsschauspieler? 3. Ist die etablierte Parteienklasse zu versteinert – und würden Sie sich einen neuen Politikertypus wünschen ? Was wäre die Lockung oder Drohung eines Außenseiters à la Pim Fortuyn?

Wenn die Wahl am 22. September entschieden ist, werden wir wissen, wer wir sind. Denn jedes Volk bekommt den Kanzler, den es verdient. Die letzten vier Jahre sah der Zuschauer die Geburt der Medienkanzlerschaft, die Popularisierung des Parlaments zur Talk-Show und die Stilisierung aller politischen Fragen zum „Skandal“ oder zur „Krise“. Daher ist es nur folgerichtig, dass am Ende möglicherweise ein Fernseh-Têteà-Tête zwischen dem Kanzler und dem Kandidaten über den Wahlausgang entscheidet.

Schröder contra Stoiber, das ist mehr als je zuvor ein Medienduell zwischen Politikerdarstellern. Dabei hat Schröder den Vorteil, die Rolle des Medienkanzlers geprägt zu haben. Er ist die Erstbesetzung und hat es zum Publikumsliebling gebracht. Zur Sympathieträgerschaft eignet sich Stoibers Part dagegen kaum. Er gibt den Eiferer, den gallig-grantelnden Bayern. Und Schröders Protagonistenstatus ist zugleich sein größtes Problem: Er hat den Rest seines Kabinetts bis auf wenige Ausnahmen an die Wand gespielt und viele Nebenrollen fehlbesetzt. Die Mannschaft erinnert zuweilen an ein Häufchen verunsicherter Auswechselspieler.

Der Vorwurf der Versteinerung oder Realitätsferne trifft die Politikerkaste in der medialisierten Welt nur bedingt. Sie ist vielen eher zu mediennah und Talkshow-geschult. Deshalb hat auch das vermeintlich „Echte", „Unpolitikerhafte" eine Chance, wie im Fall von Ronald Schill. Markige Sprüche, Drastik statt Diplomatie, das suggeriert Authentizität, bis dann schon sehr bald deutlich wird, dass auch dies nur eine weitere Profilierungsstrategie im Polittheater darstellt.

Doch damit ist das Problem der Demagogie, der Gefahr und Versuchung von rechts noch lange nicht gebannt. Denn wer die aktuelle Schaubude der Politik mit etwas Abstand betrachtet, kann sich der Langeweile kaum erwehren. Nur weil sie sich inzwischen fast von selbst in Szene setzt, ist Politik noch lange keine gute Unterhaltung, und die Fernsehvolksvertreter wären gut beraten, der Boulevardisierung ihrer Arbeit Grenzen zu setzen. So hat denn auch meine Lieblingsreform eher den Charakter einer Regieanweisung, die von niemand geringerem als William Shakespeare stammt. Im „Hamlet“ rät er dem Politiker und Laiendarsteller Polonius: „Less art, more matter!“ - Mehr Inhalt, weniger Kunst!

John von Düffel lebt als Schriftsteller und Dramaturg in Bremen. Sein Stück „Elite I.1“ wurde im Mai am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt. Zuletzt erschien von ihm der Essay-Band „Wasser und andere Welten“ (DuMont).

Nächste Folge: Christoph Hein

NAME

Zur Startseite