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Kultur: Antworten von

VORWAHL (9)

Jürgen Flimm

Wir haben Künstlern Fragen zu Deutschlands Politikern gestellt. Jürgen Flimm baten wir um eine Theaterkritik zur zweiten Inszenierung des neuen Stücks „Fernseh-Duell“.

Nun ist es an der Zeit, einen Punkt zu machen. Ich plädiere also für das Ende der endlosen Debatte über die Theatralisierung der Politik! So ein Duell: von wegen Malvoglio (CSU) gegen Siegfried (SPD), da ist das deutsche Stadttheater doch besser als der Politiker Ruf. Sagt der Thomas Roth (ARD), das sei ein Endspiel gewesen!, Herrje, kennt ihr das gleichnamige Stück vom weisen Beckett? Das wär’s gewesen: Stoiber als Ham im Rollstuhl und der kregle Schröder als Clov; Joschka, Westerwelle und der Mümmelmann in den Tonnen, da kommt Laune auf!

Redet der Stoiber doch zu allem Anfang ein bissl geschmerzt von sich selbst als Darsteller und von der Amerikanisierung der Politik – jemals „Air Force 1“ gesehen oder „Independence Day“? Das waren Filme von deutschen Weltklasseregisseuren! Dieses Duell wird Folgen haben, sagt die kluge Runde danach, in Ländern, Gemeinden, Vereinen, wo auch immer gewählt wird, wird ab jetzt duelliert. Wie sowas am Besten geht, das wissen wir von den Brettern, die die Welt bedeuten, ziemlich gut. Schafft deshalb alle eure medialen Berater ab, die spinnen doch, die Doktoren.

So stellen wir uns für einen kurzen glücklichen Moment den Marthaler als Stoiberschen Berater vor (Zürcher Bürger, lasst ihn nicht ziehen, ihr habt doch genug Löcher im Käse!). Wie hätte sich der zappelige Kandidat immer wieder die weißen Haare gebürstet. Und wie wäre der Kandidat bald wie von Sinnen hinters Pult gesunken und hätte nach zwei Purzelbäumen „Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Main" angestimmt, und Sabine und Maybritt hätten den zweistimmigen Summchor gemacht. Zu schön aber auch! Oder eine saftige Dekonstruktion kanzlerscher Stelbstdarstellung, angeleitet vom erfahrenen Castorf: Plötzlich wären dem Schröder wie von ohngefähr Texte von Baudrillard o.ä. entfahren, auch wäre er in einem Video erschienen, als alter Platzwart von Tus Talle. Und der Kanzler säße neben Frau Christiansen und gäbe gleich die Antworten, ohne lästige Fragen entgegenzunehmen. Zum Finale käme der Jauch mit ein wenig multiple choice, und Schröder hätte eine Million Wähler gewonnen.

Wie die Sendung am Sonntag war? Als Stoiber tragisch wurde und von den leeren Schaufenstern des Mittelstandes sprach und der Kanzler darauf auf einmal ganz müde und melancholisch, da begann es mir zu gefallen. Und als der Ministerpräsident zum Schluss direkt wie bei seiner Neujahrsansprache in die Kamera guckte und die weißblaue Hymne nicht kam und der Kanzler die beiden Damen anlächelte, mit sprödem Schrödercharme, um auch noch deren beider Stimmen einzusammeln, da haben sie sich tatsächlich unterschieden.

Jürgen Flimm ist Regisseur und Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele. Er gehört zu den kulturpolitischen Beratern des Kanzlers. Nächste Folge: Albert Ostermaier

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