zum Hauptinhalt

Kultur: Antworten von

VORWAHL (17)

Joseph von Westphalen

Wir haben Künstlern und Schriftstellern drei Fragen gestellt. 1. Deutschland und der Reformstau: Welche Reformen halten Sie für am dringlichsten – und was wäre Ihre Lieblingsreform? 2. Schröder contra Stoiber: Welchen Rollen-Typus verkörpern die beiden Staatsschauspieler? 3. Ist die etablierte Parteienklasse zu versteinert – und würden Sie sich einen neuen Politikertypus wünschen ? Was wäre die Lockung oder Drohung eines Außenseiters à la Pim Fortuyn?

1. Eine Reform hat bereits unmerklich ohne eine einzige Gesetzesänderung stattgefunden: die allmähliche Verwandlung der Politik von einer Sache, die von ihren Kritikern früher einmal als schmutziges und von ihren Befürwortern als seriöses Geschäft bezeichnet wurde, in ein Medienspektakel, das kein normaler Mensch mehr ernst nehmen kann. Ganz gut so. Der Idiotismus ist ehedem nicht so sichtbar geworden. Zum Glück nehmen sich die Politiker selbst noch ernst, sonst wäre es nicht mehr komisch. Irgendwann aber merken sie vielleicht, in welchem Missverhältnis ihr Auftreten zu ihrer Arbeit steht. Das wird die Zeit der frommen Stoßgebete sein: Gott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen und mach, dass ich nicht für ein Pflichtjahr in die Regierung muss!

Bis dahin wünsche ich mir einen anderen Wahlmodus, der mir erlaubt, gegen eine Partei zu stimmen, ohne für eine andere zu sein. Im Übrigen sehne ich mich nach den üblichen Unvereinbarkeiten: Weniger Staus, aber auch weniger Straßen; weniger Energievergeudung, aber mehr Licht; einen großzügigeren Staat, aber weniger Steuern. Gut, dass noch keine Partei auf die Idee gekommen ist, Steuerfreiheit für Schriftsteller zu versprechen. Das könnte mich in Verlegenheit bringen. Auch für eine Partei, die in Aussicht stellt, den Hochleistungssport nicht mehr zu fördern, wäre ich anfällig. Wenn schon Sport, dann will ich hübsche schlanke Läuferinnen und keine Kraftkolosse sehen.

2. In der Politik ist nicht nur der Wahlkampf Inszenierung, sondern, wie spätestens seit der Rede des saarländischen Ministerpräsidenten Müller auch die letzten Hühner und Kälber wissen sollten, jede Debatte und jede Abstimmung. Das tägliche Berliner Theater nehmen wir dank der Medien längst als Dauerserie wahr. Ein Nachspielen dieses Stücks mit Schauspielern erübrigt sich, denn das Dokumentarspiel ist nicht zu übertreffen. Dabei verkörpert Schröder wie schon Helmut Schmidt den Typus, der keinen Hehl daraus macht, mit einer gewissen Lust eine Rolle zu spielen – und zwar ganz passabel.

Da Politik längst als Theater verstanden wird, wird ihm seine Kanzlerspiel kaum verübelt. Vor allem im Gespann mit Joschka Fischer, der weniger wie ein Jongleur wirkt, sondern immer mehr wie ein Geläuterter, wie ein wandelndes Gelöbnis, erweckt Schröder den Eindruck, die Sache halbwegs im Griff zu haben. Da die schauspielerischen Talente des Gegenspielers nicht ausreichen, hatte dessen Berater den kecken Einfall, seinen Kandidaten als „kantig und echt“ zu verkaufen, was natürlich heißen soll, Schröder sei glatt und unecht. Stoibers Strippenzieher Spreng weiß natürlich, dass das Inszenierungsgequatsche ein Authentizitätsbedürfnis erzeugt. Jede Ungeschicklichkeit Stoibers soll bedeuten: Der Mann ist zwar spröde, aber er macht uns wenigstens nichts vor. Wie viele Wähler bereit sind, die hölzerne, bisweilen silberfischchenhafte Gestalt als ehrliche Haut wahrzunehmen, wird sich zeigen.

3. Ein neuer Typus? Lieber nicht! Es ist alles schon schräg genug. Wenn es so weiter geht, könnte bei der nächsten Wahl ein Kandidat Chancen haben, dem auf Plakaten nachgesagt wird, er sei ein unsympathischer Knilch, aber kompetent - darauf komme es schließlich an in der Politik. US-Präsident Bush, der auf intellektuell noch nicht völlig heruntergekommene Gemüter reichlich einfältig wirkt, zeigt, dass bei den Wählern der westlichen Welt zur Zeit eine Vorliebe für den schlechten Schauspieler besteht, für Laiendarsteller, für Knallchargen. Wenn sich Italien für Berlusconi entschied, dann, weil es einen Popanz haben wollte, bei dem jede Geste klar macht, dass es sich um einen echten Emporkömmling handelt. Hauptsache echt. Echt texanisch vernagelt wie Bush, echt gernegroß wie Berlusconi, echt verdruckst wie Stoiber. Auch wenn manche Frauen sich jetzt christlich in die Brust werfen, und den Befürworterinnen des erstaunlich dunkelhaarigen Schröder entgegenhalten, sie fänden den silbrigen Stoiber sexy - Politiker liebt man nicht. Man kann sie eher nicht ausstehen. Das ist normal. Und so gibt es auf den Quatsch mit der Echtheit nur eine Antwort: Alle machen sie dir was vor. Und du dir selbst übrigens auch.

Joseph von Westphalen lebt als Schriftsteller in München. Zuletzt erschien von ihm „Lametta lasziv“ bei Kein & Aber. Morgen finden sich in der Schlussrunde zur „Vorwahl“ u. a. Volker Schlöndorff und Thomas Ostermeier.

NAME

Zur Startseite