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Inbilder des Aufstands. Noura Younis (links) und Kismet El Sayed. Die Ausstellung „Reporting ... A Revolution (Continued)“ ist bis Sonntag zu sehen.

© Paul Zinken

Arabellion: Journalismus als Aktivismus

Mit einer Dokumentation im Berlinale Special und einer Fotoausstellung bringen Journalistinnen aus Kairo Bilder der ägyptischen Revolution nach Berlin; und die Frage, welche Bedeutung Berichterstattung im Freiheitskampf hat.

Die Szenen gingen um die Welt. Wie da am 28. Januar 2011 Sicherheitskräfte und Demonstranten auf der Qasr-al-Nil-Brücke aufeinanderprallten. Wie sie sich zunächst gegenüberstanden, wie dann Wasserwerfer vorfuhren, Tränengasgranaten flogen. Schließlich: wie Panzerfahrzeuge Menschen einfach überrollten. In dem Moment, erzählt Noura Younis jetzt, habe sie verdrängt, was vor dem Auge ihrer Videokamera geschah. „Ich habe mir vorgestellt, dass das ein Videospiel ist.“ Neben ihr stand Kismet El Sayed und fotografierte. „Wir mussten das dokumentieren. Wenn nicht wir, wer dann?“, sagt sie jetzt.

Es ist ein Kampf mit Bildern, den Younis und El Sayed führen – auch jetzt noch, über ein Jahr nach dem „Tag des Zorns“, auch hier, im Rahmen der Berlinale. Hochprofessionell wirkt das, was ihr Arbeitgeber „Al-Masry Al-Joum“, das vielleicht wichtigste oppositionelle Medium Ägyptens, gemeinsam mit einer Berliner Medienagentur aufgefahren hat. Als Special läuft der Dokumentarfilm „Reporting ... a Revolution (Six Journalists doing their job)“. Noch bis Sonntag ist zudem eine Fotoausstellung zum Thema im Freien Museum Berlin zu sehen (Potsdamer Straße 91, 12-19 Uhr, Do 12-22 Uhr, So 15-18 Uhr).

In deren Räumen sitzen jetzt auch die zwei jungen Frauen. Noura Younis, Onlinejournalistin bei „Al-Masri Al-Youm“ und eine der Protagonistinnen des Films, sowie Kismet El Sayed, seine Produzentin, erklären die Bedeutung der Bilder für das, was ihrer Meinung nach inzwischen eher ein „Krieg“ sei als eine Revolution. Immer wieder werden sie dabei abgelenkt von einem Fernseher, der zwischen den Fotos an der Wand hängt und Videomaterial der Onlineredaktion von „Al-Masry Al-Joum“ zeigt. Etwa Szenen von der Erstausstrahlung von „Reporting ... a Revolution“ vor wenigen Wochen auf dem Tahrir-Platz. Mehrere tausend Menschen versammelten sich dort vor einer Leinwand. Viele von ihnen zogen später vor die staatliche Fernsehanstalt – um zu verlangen, dass der Film dort ausgestrahlt werde.

Da lächeln die beiden, die sonst sehr ernst und ein bisschen müde wirken, und winken ab auf die Frage hin, ob so viel Nähe zur Straße die journalistische Objektivität nicht gefährde: „In einem Unterdrückungsregime ist Journalismus immer Aktivismus“, sagt Noura Younis. Und nein, der Sturz Mubaraks habe Ägypten nicht zu einem freien Land gemacht, das spüre ihre Redaktion jeden Tag. Sei es auf der Straße, wo sogar Reporter angegriffen würden, sei es durch die Prozesse, die der Militärrat gegen die Tageszeitung und ihre Onlineausgabe anstrenge.

"Die Menschen sollen sich selbst in einem größeren Kontext sehen"

Die paradoxe Rolle des Rates reflektiert die Ausstellung, die die revolutionären Ereignisse, anders als der Film, nicht als abgeschlossene Geschichte des letzten Winters, sondern als bis in die Gegenwart reichende Ereigniskette zeigt, eindrucksvoll mit. Vom Jubel über die Solidarisierung des Militärs mit den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz 2011 bis zu den Konfrontationen der letzten Wochen ebendort. Was sich in den Bildern wie die Geschichte einer Enttäuschung liest, erfüllt die beiden Chronistinnen indes mit Hoffnung: „Die Leute haben damals gejubelt, weil sie naiv waren“, sagt Kismet El Sayed. Langfristig werde sich aber keine Macht halten können, die den Menschen Freiheit und Gerechtigkeit verwehre. Das gelte für Militär und Muslimbruderschaft gleichermaßen. Ähnlich wie die ausländischen Medien übersähen beide eins, sagt Noura Younis: dass nur derjenige die Ägypter langfristig überzeugen könne, der die sozialen Spannungen löse.

Dass sie ihre Bilder nach Berlin getragen haben, hat laut Younis dann auch genau den Grund: zu zeigen, welche Kräfte wirklich wirken im Ägypten des zweiten Revolutionsjahres. „Das Ausland nimmt gern eine bestimmte Position ein: stellt Facebook in den Mittelpunkt und nicht die Ökonomie, fragt nach der Bedeutung von Frauen in bestimmten Gruppen, dramatisiert den Wahlsieg der religiös Erleuchteten, ohne zu fragen, ob die nun aufgrund ihres karitativen Engagements oder aus Überzeugung gewählt wurden.“ Der Film allerdings sei ganz explizit nicht für ein ausländisches Publikum, sondern für die Ägypter selbst geschnitten worden. „Wir wollten, dass die Menschen sich selbst in einem größeren Kontext sehen“, erklärt Noura Younis. „Und wir wollten ihnen zeigen, was es heißt, über die Ereignisse zu berichten.“

Der Fernseher an der Wand zeigt da gerade wieder die Szenen von der Weltpremiere des Films.

„Reporting ...“, 18.2., 18 Uhr, Cubix 8

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