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Wechselschritt.  Mahmoud (Bassem Samra) ritt 2011 gegen die Rebellion.

© Polyband

Arabischer Frühling im Kino: Damals, auf dem Tahrir-Platz

Seifenoper trifft Neorealismus: das ägyptische Politmelodram „Nach der Revolution“.

Was für ein Kuss, im Schutz der Nacht. Revoluzzerin liebt Regime-Schergen, es ist eine denkbar verbotene Liaison. Reem, die Tahrir-Platz-Rebellin aus Kairo (Menna Shalabi), findet Gefallen an Mahmoud, dem Reitersmann aus der Pyramidenstadt Nazlet el Samman (Bassem Samra). Er gehörte zu denen, die im Auftrag Mubaraks am 2. Februar 2011 die Demonstranten attackierten, auf Kamelen und hoch zu Ross. Wie seine Kollegen leidet Mahmoud darunter, dass die Touristen wegen der Unruhen ausbleiben – und wegen der kilometerlangen Mauer, die die Verwaltung zwischen Nazlet und den Pyramiden errichten ließ. Frau und Kinder darben, Mahmouds geliebtes Pferd hungert. Da war es ein Leichtes, ihn und die anderen Reiter gegen die unruhestiftenden Demonstranten aufzuhetzen. Reem und Mahmoud lernen sich kennen, als die Rebellin mit ihrer Tierschutz-Freundin Pferdefutter in Nazlet verteilt.

Die gebildete Großstädterin und der Analphabet, die moderne, in Scheidung lebende Frau und der traditionsbewusste Familienvater, Stabilität, Klassenkampf, Gerechtigkeit, Bildungsnotstand, Frauendiskriminierung, Demokratie-Aufbau: „Nach der Revolution“, der erste nennenswerte ägyptische Tahrir-Platz-Spielfilm, ist derart mit Themen überfrachtet, dass die Protagonisten sich unentwegt erklären und Statements abgeben müssen. Jeder Dialog eine Agitation, ein verbaler Schlagabtausch. „Essen, Freiheit, Würde“, skandieren die Demonstranten, während Mahmoud sich als bewaffneter Spitzel anheuern lässt, nach dem Motto: „Sie nennen mich eh einen Schläger, dann kann ich auch davon leben.“ Reem hat Mitleid mit Mahmoud, er wurde auf dem Tahrir-Platz von den Demonstranten verprügelt, die Bilder kursierten auf Youtube, seitdem wird er verlacht und verachtet.

Dass der 2012 in Cannes uraufgeführte Film des 60-jährigen Yousry Nasrallah die gute alte ägyptische Kinoromanze mit der Politdokumentation (samt Originalaufnahmen vom Tahrir-Platz) kurzschließt, macht die Sache zusätzlich krude. Und sehenswert. Denn jede nur halbwegs dem Geschehen angemessene Erzählung aus den turbulenten Wirren der ägyptischen Gegenwart kann im Grunde nur überfrachtet sein. Und wie sonst sollte die Demokratie am Nil eine Chance haben, wenn nicht unermüdlich um die Zukunft gestritten würde – mit Worten, Slogans, Argumenten. Und in der Atemlosigkeit, mit der hier dauerdebattiert wird, schwingt die Verzweiflung darüber mit, dass auf den arabischen Frühling im Nu der arabische Herbst folgte.

Seifenoper – mit dann doch züchtig diskreter Kussszene – trifft Neorealismus, das kann nicht gut gehen. Aber immerhin folgt der Film auf diese Weise der Erkenntnis, dass eine Revolution nichts taugt, wenn sie die Bedürfnisse des Mehrheit ignoriert. Also bietet „Nach der Revolution“ reichlich Herzschmerz, wunderschöne Frauen, virile Männer und pittoreske Bilder vom Leben abseits der Großstadt. Schade, dass nicht auch noch gesungen wird wie im Bollywood-Film. Gerade die Schwächen dieser durchaus aufwendigen Produktion lassen sich als Symptom dessen entziffern, worum es geht: um die Unversöhnlichkeit sozialer, politischer, mentaler Gegensätze nach der Revolution. Das in bunten Farben ausgemalte Melodram weiß um die Vergeblichkeit der Utopie.

Allein der Furor der Frauen. Wenn Reem bei den Meetings ihrer NGO alle in Grund und Boden redet, wenn sie unwirsch Männerbünde aufmischt, Mahmouds Frau aufklärt oder mit der Schuldirektorin die Bildungsproblematik angeht, lässt sich die über Jahre angestaute Wut förmlich mit Händen greifen. Reems Ungeduld und ihre enervierende Energie, mit der sie zu streiten nicht müde wird, vermitteln eine Ahnung davon, wie mühsam Ägyptens Weg in die Freiheit ist. Die metaphorische Schluss-Szene mit Mahmouds unendlich langem Aufstieg auf eine der Pyramiden von Gizeh wäre da gar nicht nötig.

In den Berliner Kinos Bali, Eiszeit (OmU), Lichtblick (OmU)

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