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Szene aus dem französisch/marrokanischen Spielfilms «Rock the Casbah».

© dpa

Arabisches und israelisches Filmfestival in Berlin: Politik? Ja, danke!

Ein arabisches und ein israelisches Filmfest finden derzeit in Berlin statt. Und dort, wo die gezeigten Filme nicht politisch sind, suchen sie das Politische im Privaten.

Farahs Eltern schauen zu Hause eine Live-Übertragung der BBC – es sind die „Tage des Zorns“ 2011, Tausende fordern auf dem Tahrirplatz das Ende von Präsident Mubarak. „Was passiert in unserem Land?“, fragen die Alten ängstlich ihre Tochter. Farah ist Moderatorin beim ägyptischen Staatsfernsehen, sie muss es wissen. Doch ihr Sender zeigt zur Stunde lieber Musikclips. Farah zuckt mit den Schultern und wendet sich ab.

Was da auf dem Tahrirplatz geschieht, bleibt unklar. In „Winter of Discontent“ klingen die Protestrufe nur an, Demonstranten selbst zeigt der ägyptische Film kaum. Viel mehr als um die Massen in Kairo geht es ihm um die Millionen im Rest des Landes. Um Farah etwa, die sich von der willfährigen Staatsdienerin zur Revolutionsreporterin wandelt. Oder um den Computerexperten Amir, der seine Angst vor Folter bekämpft. Oder den ekelhaften Geheimdienstler, der unbeirrt weiter Weichen stellen will. „Winter of Discontent“ zeigt, mit stillen Kamerafahrten, ein Land am Abgrund.

Der Beitrag fügt sich perfekt in das Arabische Filmfestival, das in Berlin zum 5. Mal stattfindet (bis 26. 3.; Babylon Mitte, Eiszeit, Arsenal, Galerie B/B Multiples). Die rund 30 Filme aus den arabischen Ländern beschäftigen sich fast alle mit den jüngsten Aufständen und Bürgerkriegen. Da ist „Ladder to Damascus“ aus dem Libanon; er zeichnet die Träume junger syrischer Studenten, während auf den Straßen die Unruhen beginnen. In der Doku„Crop“ wird die Revolution in Kairo verhandelt – allerdings auch hier mit einem Blick, der eher in die Hinterstuben des Landes führt.

Dort, wo die Spielfilme und Dokumentationen nicht politisch sind, suchen sie das Politische im Privaten. In „Broken Record“ ist die Regisseurin auf der Suche nach einem Lied ihrer verstorbenen Mutter. Von Island aus reist sie in die irakische Heimat zurück und findet zerbrochene Schallplatten. „Stable Unstable“ aus Beirut beobachtet das Leben unterschiedlichster Libanesen aus der Perspektive eines Psychiaters – und als Allegorie auf eine Nation, die sich ihrer Erinnerung an den Bürgerkrieg verweigert. Wie offen das Ungesagte im Raum steht, zeigt vor allem der Eröffnungsfilm „Omar“ des Palästinensers Hany Abu-Assad. Omar lebt im von der israelischen Mauer zerschnittenen Westjordanland. An einem Seil klettert er regelmäßig über die Mauer, um zu seiner geheimen Liebe Nadia zu gelangen. Nadias Bruder will Omar für den Widerstand gewinnen, das israelische Militär versucht, ihn in Folterhaft zum Verräter zu formen – und der Liebende gerät in einen Strudel aus Verrat und Verdacht. Wahrheiten gibt es zwischen den Fronten nicht mehr. (Marc Röhlig)

2. Berliner Israel Film Festival.

Szene aus dem Spielfilm «Omar»
Szene aus dem Spielfilm «Omar», der das 5. Arabische Filmfestival eröffnet.

© dpa

Die arabischen Länder mögen derzeit heftig mit sich selbst beschäftigt sein, der Nachbar Israel ist es auf seine Weise. Nur dass Politik hier, hält man sich an die Tendenzen auf dem 2. Berliner Israel Film Festival (bis 23. März im Moviemento), derzeit kaum eine Rolle spielt. Die rund 40 Filme beschäftigen sich vielmehr mit reichlich privaten Defekten – und allenfalls der ruppige Ton und die Normalität alltäglicher Verwundungen deuten darauf, dass hier eine Nation seit Jahrzehnten politisch wie psychisch im Ausnahmezustand lebt.

Alice etwa, Titelheldin von Dana Goldbergs Eröffnungsfilm, befindet sich strukturell am Rande des Nervenzusammenbruchs: dauernd Nachtschichten als Krankenschwester im Heim für schwer erziehbare Mädchen, freudlos verstummte Ehe, ähnlich unlustige Affäre mit einem Arbeitskollegen, totales Desinteresse am zarten, kleinen Sohn – da kommt einiges zusammen, das einen Menschen aus der Spur hauen kann, der sich noch dazu mit Psychopharmaka vollpumpt. Oder „Six Acts“ von Jonathan Gurfinkel: Hier ziehen die Kids der Reichen durch die Nacht, und die junge Gili (eindrucksvoll: Sivan Levy) sucht Anschluss, indem sie sich nahezu jedem Kerl anbietet, der sie bloß benutzt. Aber Tränen deshalb? Bloß nicht. Bei so viel pathosfreier Tragik macht „Not in Tel Aviv“ fast Spaß: Gekündigter Lehrer entführt Schülerin sowie Pizzaverkäuferin, das Ergebnis ist eine eher surreale mésalliance à trois. Was all diese Filme gemeinsam haben: Sie treten energisch auf der Stelle. Ist das jetzt politisch gemeint? Nicht doch. (Jan Schulz-Ojala)

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