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Kultur: Architekt des Zaren

Claudio Silvestrin gestaltet die Boutiquen des Modemachers Giorgio Armani in aller Welt

„Zeitgemäß und dennoch zeitlos, ruhig aber nicht asketisch, stark aber nicht einschüchternd, elegant aber nicht auffällig“, so will der Italiener Claudio Silvestrin seine Architektur empfunden wissen. Ähnlich könnte aber auch eine Charakterisierung der Mode Giorgio Armanis lauten, wie sie derzeit in der Neuen Nationalgalerie von Berlin zu sehen ist.

So kann es nicht überraschen, dass Architekt und Modezar zueinander fanden. Seit 1999 gestaltet der in London lebende Italiener Silvestrin die Niederlassungen des Modezaren in aller Welt, von Mailand über Paris und Moskau bis Tokio. Zehn hat er umgebaut, Sao Paulo und Seoul neu errichtet; sieben weitere zwischen Atlanta und Peking sehen der Fertigstellung entgegen.

Selbst unter ihresgleichen, in den kultiviertesten Geschäftslagen der Metropolen dieser Welt, fallen die Läden auf. Es ist, als hielte die vorlaut miteinander konkurrierende Schaufensterschar inne und wiche einen Schritt zurück. Armani tritt auf, ruhig, distinguiert. Eine schwere, aztekische Sandsteinfassade, keine Tür, die Wand öffnet sich, eine Lichtkette in Schienbeinhöhe geleitet nach drinnen. Noch ist keine Ware zu sehen, der Blick fällt zuerst auf eine schlichte, schwere Brunnenschale, die wie eine archaische Skulptur als Empfangsgeste in der Eingangsnische steht. Ihr zur Seite ein schwarz gewandeter, junger Mann von aktueller Eleganz mit schwarzem, gegeltem Haar, Wachschutz und Kundenempfang in Personalunion. Dann erst die Wendung ins Innere und der Blick auf das sorgfältig arrangierte, allem Übermaß abholde Angebot an Kleidungsstücken des gehobenen Ansehens.

Silvestrin erdachte sein architektonisches Konzept zuerst für die Filiale an der Place Vendôme in Paris und führte es fort in Mailand, wo er das Flaggschiff der Armani-Kette in der Via Sant Andrea gestaltete. Schönheit jenseits von Mode, Geschmack und Zeit ist sein Ziel, in dem er sich mit seinem Bauherrn einig weiß. Glatte Wände und Fußböden in französischem Sandstein, die elementaren Einbauten aus Ebenholz, die Details so einfach und ungekünstelt wie möglich, ist das minimalistische Gestaltungskonzept. Das Primat der Aufmerksamkeit wird der Ware eingeräumt. Die Architektur erzeugt zweierlei, eine gedämpfte, unaufgeregte Einstimmung der Kunden und eindrückliche Raumerlebnisse mit Rampen und perspektivischen Durchblicken, mit stillen Nischen und Podesten, mit einem Szenario, in dem die zeitlos eleganten Kleidungsstücke ihre eigene Aura entwickeln sollen. Zweifellos sind Chefren und Ramses durchaus zeitliche Phänomene gewesen, doch ihre Baukunst vermittelt uns heute ein Gefühl des Zeitlosen, Ewigwährenden, ein Gefühl, mit dem auch Silvestrin zu spielen versteht, wenn wir uns in seinen schmalen, hohen Rampengängen ins Innere einer Pyramide der Vierten Dynastie versetzt fühlen.

Einmal lässt sich die Illusion perfekter realisieren, wie in der raumgreifenden Filiale in Mailand, ein andermal muss der Architekt sich mit bescheideneren Dimensionen begnügen wie in Düsseldorf, wo sich der Geschoss verbindende Prozessionsweg auf einen lang gestreckten Treppengang reduziert. Ohnehin verträgt Silvestrins archaische Baukunst keine Kompromisse. Wenn die Gipskartondecken unsauber verlegt, die Raumteiler nicht passgenau eingefügt, die Leichtbauwände nicht sorgfältig gespachtelt und gestrichen sind, wirken sie im Kontrast zu den soliden Natursteinwänden billig und kulissenhaft. Hier stößt das „Ewige“ an seine Grenzen und lässt erkennen, dass es eben doch von dieser Welt ist.

Immer neu und jährlich mehrmals wechselnd ist die Kollektion, die eine Präsentation wie die Preziosen im Museum erfährt. Jedem Hemd die eigene Beleuchtung, jedem Beinkleid die eigene Nische, jedem Täschchen seinen Altar. Die durch den warmbeigen Naturstein und in ähnlichen Erdtönen gestrichenen Wände und Decken bestimmte, zurückhaltende Farbpalette hat natürlich die Aufgabe, die Aufmerksamkeit der Kunden so wenig wie möglich von der ebenfalls in gedeckten Tönen gehaltenen Kollektion abzulenken. Indes wird das Empfinden hier und da durch Farbunverträglichkeiten zwischen manch edlen Stücken und dem Ambiente gestört, die mit „neutralen“ weißen Wänden zu vermeiden wären.

In Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main und München ist Giorgio Armani mit seinen Boutiquen präsent, doch ist von den deutschen Niederlassungen bislang nur Düsseldorf nach Silvestrins Plänen auf Linie des Hauses gebracht worden. Die Berliner Klientel, bisher noch nicht eines Armani-Tempels für würdig erachtet, hat man inzwischen durchaus im Blickfeld, doch Eile scheint nicht geboten. Die dem Anspruch des Meisters angemessene Lokalität sei noch nicht gefunden, heißt es, und die sei wichtiger als ein rascher, unabgewogener Auftritt.

So kann sich Claudio Silvestrin auf die Realisierung seiner aktuellen Projekte in Athen, Zürich und Rom, in Hong Kong und Peking konzentrieren, wenngleich letztere derzeit etwas ins Stocken geraten sind.

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