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Architektur: Bauklötze stapeln

Das japanische Architektenteam SANAA bekommt den Pritzker-Preis. SANAAs Architektur wird dem Minimalismus zugerechnet. Sie arbeiten mit harten Baustoffen, mit viel Glas, mit Sichtbeton, Stahl und Aluminium.

Eine zierliche, fast verschüchterte Frau erlebten die Vernissage-Besucher der Berliner Architekturgalerie Aedes im Herbst 2000, als Kazuyo Sejima ihre jüngsten Projekte vorstellte, gemeinsam mit ihrem Partner Ryue Nishizawa. Damals existierte das Tokioter Büro der 1956 geboren Architektin und ihres zehn Jahre jüngeren Kompagnons seit 13 Jahren und ließ mit wenigen, aber entschieden konzeptionellen Arbeiten aufmerken.

Heute zählt das Paar zu den Starteams mit Aufträgen in aller Welt und souveränen Auftritten auf den internationalen Bühnen – wobei sich Sejima nach wie vor wohltuend von den Lautsprechern der Szene unterscheidet. Im November wurde sie als Direktorin der Architekturbiennale in Venedig 2010 benannt – und nun erhält das Team SANAA den mit 100 000 Dollar dotierten Pritzker-Preis, der weltweit wichtigsten Auszeichnung für Architektur.

Furore machte das japanische Team im vergangenen Jahr mit seinem Turm des New Museum of Contemporary Art in New York, der wirkt, als habe ein Vierjähriger sechs aluminiumverkleidete Bauklötzchen (nicht besonders präzise) gestapelt. Weitere Museen sind weltweit entstanden, außerdem Bürobauten und ein Dior-Kaufhaus in Tokio. SANAA ist auch in Deutschland vertreten. In Essen bauten sie die Zollverein School of Management & Design, einen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 35 Metern mit unregelmäßig verteilten Fensteröffnungen. 2005 gewann das Büro unter sechs eingeladenen Architekturbüros einen Investorenwettbewerb für die Erweiterung des Bauhaus-Archivs. Die Pläne liegen in der Schublade. Direktorin Annemarie Jaeggi wartet noch immer auf ein Zeichen aus der Senatskanzlei. Sie hofft nun auf Berücksichtigung ihrer Erweiterungspläne im Haushalt 2012/13.

Die Architektur von SANAA wird dem Minimalismus zugerechnet. Sie arbeiten mit harten Baustoffen, mit viel Glas, Sichtbeton, Stahl und Aluminium. Die Materialien bleiben unbehandelt naturfarben. Wenn Anstriche notwendig werden, etwa bei Stahl, dann fällt die Wahl ausnahmslos auf Weiß. Nie gibt es andere Farben bei SANAA, für Gemütlichkeit ist das Team nicht zu haben. Ihr jüngstes Werk konnten sie vor Monatsfrist eröffnen, das nach dem Hauptsponsor benannte Rolex Learning Center der Technischen Hochschule EPFL in Lausanne.

Wie ein flaches Sandwich mit gläserner Füllung liegt es im Campus. Das gesamte Gebäude besteht aus einem verglasten, zwei Hektar großen Raumkontinuum, unterbrochen nur durch gläserne Innenhöfe, runde und ovale Patios, die den Bau perforieren wie die Löcher einer Scheibe Emmentaler. Hier und da wölbt sich das Sandwich auf, so weit, dass man in die Höhlung hineingehen kann. Die flache Wölbung hat erstaunliche 80 Meter Spannweite; den Ingenieuren verlangte sie Höchstleitungen ab. Die untere Platte bildet den Fußboden des eingeschossigen Bauwerks, eine bewegte, hügelige, grenzenlos fließende „Lernlandschaft“. Wo Tische oder Regale stehen, ist er horizontal. Dann fällt er wieder so steil ab, dass manche lieber die flacheren Serpentinen wählen. Ein konkav gebogener Hügel beherbergt das Auditorium des Vortragssaals, ein anderer eine Sitzlandschaft mit Mont-Blanc-Panorama.

Das Haus verleitet zum Flanieren, die Serpentine hinauf zur Bibliothek, den Hang hinab zum Café „Le Klee“ oder hinüber zur Buchhandlung „La Fontaine“. Der durchgängige Teppichboden hat segensreiche dämpfende Wirkung. Dennoch mangelt es an Ruhe, und hier und da sind merkwürdige akustische Phänomene zu erleben. Ob in Zukunft nicht auch Bedarf an ungestörten Räumen haben wird, an denen sich konzentriert arbeiten lässt? Oder wird die Jugend darauf getrimmt, gleichzeitig virtuell und real omnipräsent und kommunikativ zu sein und dabei ganz nebenbei Lernerfolge und exzellente Arbeitsergebnisse zu erzielen?

Die meisten der 800 Arbeitsplätze sind jedenfalls nicht von kontemplativer Art. Nur wenige gläserne Studierzellen stehen bereit, in denen man wenigstens akustisch abgeschirmt ist. Dennoch ist das Rolex Learning Center bereits jetzt zur Ikone und zum Besuchermagneten geworden.

Die Trendarchitekten, die gerade für Vitra in Weil am Rhein ein Vertriebszentrum bauen, haben mit ihren flachen, auf dünnen Stützen balancierenden Dachscheiben und ihrer minimalistischen Architektur einen Individualstil entwickelt. Das Glasmuseum in Toledo (2006), der Pavillon der Serpentine Gallery in London (2009) oder die im Bau befindliche Dependance des Louvre in Lens zeigen dieses luzide Design, auf dessen Nachahmer man wohl nicht lange wird warten müssen. Der Pritzker-Preis für SANAA könnte diese Entwicklung befeuern. Preisverleihung ist am 17. Mai in New York.

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