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Christoph Valentiens Parkanlage für die Expo.

© Klau Molenaar Wi

Architektur: Beton wächst schneller als Bambus

Ein deutscher Architekt schuf in Schanghai einen Botanischen Garten für das 21. Jahrhundert. Christoph Valentien entwarf den Garten als "Intarsie in der Stadtlandschaft".

Ein Garten für Schanghai, für die Expo? Ein postmoderner Park von fast der Fläche Sanssoucis? Eine grüne Weltausstellung, die auch in hundert Jahren noch Bestand haben soll? Es war klar, dass dies für Christoph Valentien kein gewöhnlicher Auftrag werden würde. Sondern einer, wie ihn selbst die bedeutendsten Landschaftsarchitekten nur einmal im Leben erhalten.

Es war ein faustisches Unterfangen. Ein unansehnliches Areal im Irgendwo-Nirgendwo des Jangtse-Deltas sollte in einen weltweit einmaligen Botanischen Garten verwandelt werden. Und das im notorisch komplizierten China, diesem Land der begrenzten Unmöglichkeiten, an dessen ängstlicher Vorsicht bisweilen die einfachsten Dinge scheitern – in dem aber auch mutige Großvorhaben machbar sind, die sich im Westen nie und nimmer bewerkstelligen ließen.

Welche deutsche Stadt hätte die Flächen und das Budget für umgerechnet drei Bundesgartenschauen bereitstellen können? Und das ganze Projekt dann auch noch einem chinesischen Gartenbaumeister anvertraut? Schanghais Stadtobere hatten kein Problem mit einem deutschen Professor. Im Gegenteil: Die Deutschen gelten als Experten für alles Grüne. Sie lieben ihren Wald, sie beschäftigen sich mehr mit der Umwelt als mit der Welt, und sie nehmen es generell genau. Ein deutscher Garten würde ein sehr ordentlicher und durchdachter Garten werden.

Denn in Deutschland gehen selbst Bäume zur Schule. Als die Auftraggeber Valentien im heimischen Oberbayern besuchten, beeindruckte die nahe Baumschule sie derart, dass sie dort 6000 gut ausgebildete Gewächse bestellten, die jetzt den Grundstock des Forschungsbereiches bilden und ihrerseits von chinesischen Botanikern studiert werden.

Noch wichtiger als die wissenschaftliche Funktion eines solchen Gartens aber ist heute die Erholungsfunktion. Schon gar in einer Metropole wie Schanghai, in der Grün immer ein Fremdwort war. Mit Ausnahme des kostbarsten Erbes der Kolonialzeit, der schattenspendenden Platanen. Bis heute fühlt man sich in der früheren französischen Konzession an Montpellier oder Aix-en-Provence erinnert. Parks aber gab es hier, anders als im kaiserlichen Peking, immer nur spärlich, zu kostbar waren Grund und Boden.

Auch dem Neuen Botanischen Garten wiesen die Planer ein Areal zu, das damals weit draußen lag, in einer ländlichen Kommune namens Songjiang. Damals, das war vor fünf Jahren; länger brauchen Zustände in China nicht, um endgültig der Vergangenheit anzugehören. Als Valentien mit seinem Kompagnon Yiju Ding zum ersten Mal auf den zentralen Hügel stieg, überblickten sie einen Flickenteppich aus Brachland, Feldern und Fischteichen, durchkreuzt von ein paar Straßen und Kanälen. Mehrstöckige Häuser sahen sie nicht.

Heute kommen die Besucher mit der U-Bahn, und die Skyline von Songjiang umgibt den Garten in einem Halbkreis wie ein Palisadenzaun. Heute: Diese Zeitkategorie ist noch kurzlebiger. Schon in zwei Jahren wird sie von der Zukunft überrundet worden sein. Dann wird die Stadt den Park gänzlich umschließen. Beton wächst schneller als Bambus.

Wer in Schanghai mit der Zeit gehen will, muss ihr zuvorkommen. Valentien entwarf den Garten als „Intarsie in der Stadtlandschaft“, auch wenn er meist nur kahles Erdreich sah und Dunst am Horizont. Mit den Partnerbüros Straub + Thurmayr sowie Auer + Weber widmete er sich der Aufgabe. Siebzig Jahre ist er alt, der langjährige Professor an der Münchner TU. Ein anerkannter Fachmann. Vielleicht eine Spur zu idealistisch, aber eben nur eine Spur. So jemand ist mit China kompatibel.

Allein dass man den Garten überblicken kann, erstaunt schon. Das Delta, ein Gebiet von der Fläche Bulgariens, ist ansonsten gnadenlos flach. Nur hier ragen neun Granitkuppen bis zu hundert Meter hoch aus dem Schwemmland. Magische Zeugenberge im Stile des Ayers Rock, nur dass es sich eben nicht um einen Solitär handelt, sondern, wie es sich für China gehört, um ein Kollektiv.

Da an den Flanken des zentralen Hügels zudem zwei aufgelassene Steinbrüche klaffen, geht die Landschaft nicht nur in die Höhe, sondern auch noch in die Tiefe. So dass der Garten veritable Klippen zu bieten hat und einen See auf dem Grund des Kraters. Nimmt man all die weiteren Wasserflächen hinzu und die Südausrichtung der Gebäude, hat man zugleich die wichtigsten Zutaten des Feng Shui, Chinas uraltem Raumordnungsverfahren. Esoterikern dürfte das Herz höher schlagen.

Tempel und Pavillons thronen auf den neun Hügeln, sogar eine neugotische Kirche aus der Kolonialzeit, und auch eine der ältesten Moscheen Chinas steht in Songjiang. In jüngerer Zeit kamen eine Sternwarte, Luxushotels und ein Vergnügungspark hinzu, und nun noch der Botanische Garten. Als das mit Abstand größte Expo-Projekt setzt er das Motto der Weltausstellung in die Tat um: Better City, Better Life. Er verheißt nichts Geringeres als die Versöhnung von Zivilisation und Natur.

Ein ringförmiger Wall schirmt das Gelände nach außen hin ab. Mal sieben und mal vierzehn Meter hoch, mal breiter und mal schmäler, verleiht er der Anlage Geschlossenheit und bietet zugleich unterschiedliche Standortbedingungen. Seine frei geschwungene Form erinnert an ein kalligrafisches Zeichen. Die Stadt und der Erdkreis, so hieße das wohl im Abendland.

Der Wall besteht aus dem Aushub für die vielen Wasserflächen, ohne die ein Garten in China nicht vorstellbar wäre. In der amphibischen Landschaft des Deltas wären sie auch gar nicht zu vermeiden. Feuchtbiotope entstehen hier praktisch von selbst, Trockenvegetation wie Prärie oder Heide gedeiht dagegen nur schwer.

Statt die Flora der Welt in enzyklopädischer Vollständigkeit zu versammeln, erzählt Valentien die Saga vom grünen Planeten anhand einer einzigen, exemplarischen Gattung, der Lorbeerwälder. Sie gehören zu den ältesten und artenreichsten Waldtypen der Erde und eignen sich gut für das feuchtwarme Klima Schanghais. Wer auf dem Ring spazieren geht, begibt sich auf eine Weltreise, die von Japan über die Kanaren bis nach Südamerika führt. Viele dieser Wälder sind heute in ihrem Bestand bedroht.

Ein Grund mehr, sich die Umweltbildung auf die Fahnen zu schreiben. Der ganze Garten ist als ein Schaufenster ökologischer Nutzung angelegt. Eine Schilfkläranlage reinigt das verschmutzte Wasser der Umgebung. Die Gebäude sind mit Solarzellen bestückt, Regenwasser wird gesammelt, Müll wiederverwertet. Später soll noch eine Biogasanlage entstehen. Selbst die gewaltige Eingangshalle schmiegt sich passgenau ins Riesenrund des Ringes, dessen Promenade einfach über ihr Dach hinweg verläuft. Ein weiterer Zugang führt durch die drei Gewächshäuser. Auch sie beeindrucken durch ihre organisch geschwungene, sinnliche Form, die an Pflanzensamen denken lässt oder an das Innere einer Durian, der stacheligen, streng riechenden südostasiatischen Frucht. Prompt hat nun auch Peking, der Erzrivale, gläserne Wunderwerke bei Valentien bestellt.

Eine Seenplatte bedeckt die Niederung zwischen dem Wall und dem zentralen Hügel. Dazwischen liegen, wie Inseln, 37 Themengärten. Darunter ein Lotos- und ein Irisgarten, Faser- und Färbepflanzen, ein Duftgarten mit heimischen Osmanthussträuchern und ein chinesischer Medizingarten. Ein Kaleidoskop von Schauplätzen, eine grüne Revue.

Darin liegt eine gewisse Seelenverwandtschaft zur chinesischen Gartenkunst, deren Wiege im Jangtse-Delta stand. Anders als die Gärten der europäischen Feudalzeit waren die fernöstlichen weniger der Macht als dem Spiel gewidmet. Sie verführten, anstatt zu gebieten. „Der chinesische Garten“, so fasste es Oswald Spengler einmal zusammen, „vermeidet die energische Perspektive. Er legt Horizont hinter Horizont und lädt zum Wandeln ein, statt auf ein Ziel zu weisen“. So gesehen stellt auch Valentiens Weltlandschaft einen chinesischen Garten dar. Zugleich ist er europäisch, ein Garten der Ideen. Dass er ein Erfolg geworden ist, kann man schon daran ablesen, dass Hochzeitspaare sich in Scharen darin fotografieren lassen. Und dass bis zu 30 000 Besucher hier lustwandeln, Tag für Tag.

Literatur: Donata und Christoph Valentien: „Neuer Botanischer Garten Schanghai", Jovis Verlag, Berlin. - Stefan Schomann hat zuletzt einen Bildband mit historischen Fotos aus dem Jangtse-Delta veröffentlicht: „Jenseits von Schanghai“, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg/München, sowie „Letzte Zuflucht Schanghai“, Heyne Verlag, München.

Stefan Schomann

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