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Blick in den deutschen Pavillon „Making Heimat. Germany, Arrival Country“.

© Kirsten Bucher/Biennale

Architektur-Biennale von Venedig: Nach allen Seiten offen

Gebaute Willkommenskultur: Der deutsche Pavillon auf der Architektur-Biennale von Venedig reflektiert Integrationsthesen und stößt Diskussionen an.

Am Abend der Eröffnung war die Delegation aus dem Bundesbauministerium noch sehr optimistisch. Der deutsche Pavillon bei der 15. Architektur-Biennale von Venedig, der müsste doch diesmal den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag erhalten! Hat sich doch das Kuratorenteam – Peter Cachola Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann vom Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main – eng an den vermuteten Flüchtlingsschwerpunkt gehalten, den Biennale-Leiter Alejandro Aravena mit dem Generalthema „Reporting from the Front“ vorgegeben hatte. Das konnte nur die „Front“ sein, an der sich Europa derzeit abarbeitet, im Ringen um Einlass oder Zurückweisung der Flüchtlinge.

Ganz so hat es Aravena nicht gemeint, und auch bei der Biennale zeigt sich, dass deutscherseits derzeit ein bisschen viel Nabelschau betrieben wird. Der deutsche Biennale-Pavillon jedenfalls, in dessen Mauern vier zusätzliche Öffnungen hineingebrochen wurden, um Offenheit rund um die Uhr zu demonstrieren, ist unter dem Titel „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ eine Visualisierung der Thesen des kanadischen Journalisten Doug Saunders.

Der hat in seinem Buch „Arrival City“ Voraussetzungen benannt, unter denen Migranten schnell Aufnahme und Zugang finden können. Dass man in der „Ankunftsstadt“ fünfe gerade sein lassen soll, damit Neuankömmlinge auch halblegale Arbeit finden können, dass ansonsten leer stehende Ladenlokale von Immigranten nach den Bedürfnissen ihrer Schicksalsgenossen bewirtschaftet werden, dass vermeintliche Gettobildung in Wahrheit nützliches Netzwerk bedeutet – diese plakativen Erkenntnisse Saunders’ werden in Venedig ebenso plakativ weitergegeben. Man fühlt sich in den kurzen (Spät-)Sommer der Willkommens-Anarchie zurückversetzt, und in jenen Wochen dürfte das Konzept auch gereift sein. Nicht zufällig ist dem Katalog das berühmte Selfie-Foto von Kanzlerin Merkel mit einem irakischen Flüchtling vorangestellt.

Diskussionen werden angestoßen

Bundesbauministerin Barbara Hendricks, aus deren Etat der deutsche Auftritt finanziert wird, zeigte sich bei der Eröffnung irritiert von der These, ohne strikte Normen gelänge die Einbeziehung von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt leichter. Im Handbuch des deutschen Beitrags wird das umschrieben als „eine Haltung der Toleranz, die auch das Akzeptieren informeller Praktiken einschließt“. Hendricks hingegen will Errungenschaften wie den gesetzlichen Mindestlohn keineswegs zur Disposition gestellt sehen.

Aus dem Publikum forderte ein Architekt, vermutlich Mitglied einschlägiger Berufsverbände, die deutschen Baustandards dürften nicht verwässert werden. Ist nicht der Sozialwohnungsbau daran zugrunde gegangen, dass die Schere zwischen steigenden Baukosten und erzielbarem Ertrag immer stärker aufging und nur zeitweilig durch am Ende unbezahlbare Subventionen geschlossen werden konnte?

Da steht eine Diskussion ins deutsche Haus, die bislang niemand führen will, um nicht als Bösewicht dazustehen, der womöglich Billigbauten das Wort redet. Innovationen sind gefragt, aber das sagt sich leicht dahin. Auch der österreichische Venedig-Beitrag, mit „Orte für Menschen“ überschrieben, präsentiert ein buntes Allerlei von Informationen und Fotos zur Migration nach Österreich, in dem sich einige Sofortmaßnahmen für Flüchtlinge in unterschiedlichen Wiener Wohnbezirken verbergen. Italien zeigt in seinem Domizil unter dem Titel „Bauen für das Gemeinwohl“ Projekte, die sich vor allem an die Einwohner in der Peripherie richten, die nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausende von Binnenmigranten aufnehmen musste. Ebendas darf der Besucher einer Biennale erwarten: dass Probleme benannt und Lösungen zumindest angeboten werden, die sich in den Bereichen von Architektur und Stadtplanung bewegen statt in wohlfeiler Alles-wird-gut-Propaganda, die es gerade in Venedig mit seinen ausgebeuteten Straßenverkäufern von Piraterieprodukten etwas genauer zu reflektieren gälte.

Goldener Löwe für Spanien

Nun, den Goldenen Löwen für den besten Länderbeitrag hat Spanien erhalten. Das Land mit der geplatzten Immobilienblase? Ganz genau. Ein Blick in den spanischen Pavillon zeigt, dass eine Krise heilsame Kräfte entfachen kann. Was die beiden Kuratoren Iñaqui Carnicero und Carlos Quintans als Folge des Zusammenbruchs des Baubooms zeigen, ist eine überwältigende Fülle von zumeist kleinen, teils nicht einmal vollendeten Projekten; daher der Pavillon-Titel „Unvollendet“. Da ist so viel Kreativität zu sehen, bisweilen in Orten, die man als gewöhnlicher Spanien-Besucher nicht einmal vom Hörensagen kennt, dass man von Krise gar nicht mehr reden mag. Dafür nehmen junge Architekten in Kauf, zu improvisieren und Häuser gelegentlich im Rohbau zu belassen. Der Immobilienboom hat ohnehin genug Rohbauten hinterlassen, als stumme Zeugen der Spekulation. Das zumindest ist der Bundesrepublik erspart geblieben. Dafür besteht jetzt die Chance, aber auch die zwingende Notwendigkeit, Architektur zu schaffen, die das Venedig-Motto „Making Heimat“ für beide Seiten verwirklicht: für die, die kommen, wie für die, die schon da sind.

Venedig, Giardini, bis 27. November. Handbuch „Making Heimat“ bei Hatje Cantz, 9,80€; www.makingheimat.de

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