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Kultur: Architektur: Für immer Kuhstall

Hugo Häring gehört zu den fast vergessenen Architekten der klassischen Moderne in Deutschland. Unter dem Titel "Architektur Wenden" bietet jetzt eine umfangreiche Werkschau in der Berliner Akademie der Künste die Chance, Häring neu zu entdecken.

Hugo Häring gehört zu den fast vergessenen Architekten der klassischen Moderne in Deutschland. Unter dem Titel "Architektur Wenden" bietet jetzt eine umfangreiche Werkschau in der Berliner Akademie der Künste die Chance, Häring neu zu entdecken. Bestückt wird sie vor allem aus dem Nachlass Härings, den die Akademie hütet.

Neben Hans Scharoun gehörte der 1882 in Biberach geborene und 1958 verstorbene Häring zu den führenden Vertretern des organischen Bauens der zwanziger Jahre. Im Gegensatz zu den weißen Kuben der Bauhäusler plädierte er für gerundete Formen. Seine ineinander greifenden Grundrissfiguren, die er aus den Bedürfnissen der Nutzer heraus entwickelte, bespöttelte er selbstironisch als "Kartoffelgrundrisse".

Scharouns Berühmtheit erreichte der Theoretiker Häring freilich nie. Der Vielzahl seiner Planungen steht nur eine vergleichsweise geringe Anzahl ausgeführter Bauten gegenüber. Nach dem Studium in Stuttgart und Dresden machte sich Häring zunächst in Hamburg als Architekt selbstständig, ehe er in den zwanziger Jahren in die Metropole Berlin übersiedelte. Härings Hinwendung zu expressiv geschwungenen Formen wird an seinen beiden Entwürfen für ein Empfangsgebäude des Leipziger Hauptbahnhofs deutlich. Obwohl der nicht verwirklichte Entwurf von 1907 bereits viel Stahl und Glas zeigte, blieb er in seiner Gestaltung konventionell. 1921 griff Häring das Thema der Empfangshalle aus freien Stücken erneut auf. Dabei kam er zu einer völlig anderen Lösung als vierzehn Jahre zuvor. Die geschwungene, in halben Ellipsen ausufernde Grundrissstruktur zeigt jetzt das für ihn typische Formenrepertoire, das wohl nicht von ungefähr an die eleganten Skizzen Erich Mendelsohns erinnert.

Auch der Organiker Häring konnte sich zu Beginn der zwanziger Jahre nicht dem "Schrei nach dem Turmhaus" entziehen. Doch im Gegensatz zu Ludwig Mies van der Rohes legendärem Entwurf eines Glashauses sah er an der Friedrichstraße ein steinernes Haus vor. Auf eine Schauseite hin inszeniert, schraubte er die Baumassen geschickt in die Höhe. Weit weniger überzeugt dagegen die Seitenansicht. Statt Dynamik und Eleganz zeigt sie eine überdimensioniert massige Lochfassade.

Während der Hochhaus-Entwurf Vision blieb, war Häring sowohl an den wegweisenden Siedlungsbauten in Onkel Toms Hütte (1926/27) als auch in der Großsiedlung Siemensstadt (1928/31) beteiligt. Zudem leitete er ab 1926 als Sekretär die Berliner Architektenvereinigung "Der Ring", dem die meisten Vertreter des Neuen Bauens angehörten.

Härings Hauptwerk entstand allerdings nicht in Berlin, sondern zwischen 1922 und 1925 in Schleswig-Holstein: das Gut Garkau am Pönitzer See. Doch auch hier konnte Häring von den umfangreichen Planungen, die unter anderem ein neues Gutshaus mit einer komplexen Grundrissgestaltung vorsahen, nur wenige Bauten verwirklichen. Dazu gehörte eine Scheune mit gotisierend spitzwinklig geschweiftem Dach sowie der berühmte Kuhstall, der auf hufeisenförmigem Grundriss entstand. Häring wollte mit Hilfe modernster Baumaterialien und -formen den bäuerlichen Betriebsablauf optimieren. Doch gerade die konsequente Funktionalität des Kuhhauses macht heute bei der Umnutzung des Baudenkmals größte Schwierigkeiten. Obwohl es in den siebziger Jahren saniert und für die Schweinemast hergerichtet wurde, steht das Kuhhaus inzwischen leer und wartet auf eine neue Nutzung.

Die Ausstellung am Hanseatenweg bemüht sich zwar anhand der gegensätzlichen Skulpturen von Adolf von Hildebrand und Auguste Rodin, von Rudolf Belling oder Naum Gabo, Härings Ideal vom "dynamisierten Raum" zu veranschaulichen. Dennoch macht sie es den Besuchern nicht eben leicht, die Qualitäten des Architekten zu entdecken. Knappe Objekttexte, einige zeitgenössische Bauzeitschriften, aber nur wenige Fotos und kaum Modelle ergänzen Härings Entwurfszeichnungen, auf deren Aussagekraft Kurator Matthias Schirren weitgehend vertraut. Das Lesen solcher Blätter ist freilich nicht jedermanns Sache. So kommt die Ausstellung trotz des reizvollen Themas reichlich spröde daher. Auch das verspätete Erscheinen des Katalogs, der erst Mitte des Monats vorliegen soll, sowie ein soeben abgehaltenes Symposium mit eingeschränkter Öffentlichkeit bauen überflüssige Hürden vor der lohnenden Wiederentdeckung Härings auf. Der hoffte, mit seinem Balanceakt einer gleichermaßen funktionalen wie regional verankerten modernen Architektur den Weg bereiten zu können.

Jürgen Tietz

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