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Wegener

© Uwe Steinert

Architektur: Hereinspaziert, bitte

Entdeckungsreisen zur Neuen Sachlichkeit: Zum Bauhaus-Jubiläum öffnen Häuser von Gropius, Mies und Taut ihre Pforten für Besucher.

„Ach bitte, wo ist der Eingang?“, fragt die junge Frau auf Englisch. „Da hinten – folgen Sie einfach dem Pfeil“, antwortet der freundliche Bauarbeiter. Ein Glück, dass Architekt Alex Cvijanovic, ehemaliger Mitarbeiter des Bauhaus-Gründers Walter Gropius, mit diesem Pfeil ein Zugeständnis an die menschliche Orientierungsfähigkeit gemacht hat. Sonst wäre es für die Besucher noch schwieriger, die Eingangstür des Bauhaus-Archivs am Landwehrkanal zu finden.

„Dabei lernen Architekturstudenten schon im ersten Semester: Wenn man Schilder und Pfeile braucht, um den Eingang zu erkennen, ist bei der Gebäudeplanung etwas schiefgelaufen“, sagt Thomas Krüger. Der Berliner Architekt organisierst mit seiner Agentur Ticket B Stadtführungen durch die Berliner Architektur. Cvijanovics Pfeil – bunte Folie auf Glas, daher von allen Seiten sichtbar – ist also vielleicht ein augenzwinkernder Hinweis auf die Unperfektheit des Gebäudekomplexes mit seinen auffälligen Sheddächern. Ursprünglich hatte Gropius sein Spätwerk für die Darmstädter Rosenhöhe geplant. Cvijanovic und sein Berliner Kollege Hans Bandel mussten den Entwurf an das flache Grundstück an der Klingelhöferstraße anpassen und drehten den Bau dafür 180 Grad.

Mit einer großen, wetterfesten Skizzenmappe in der Hand erläutert Krüger die Konzeption des 1979 eingeweihten Gebäudes. Das „demokratische Gestaltungsprinzip der Transparenz“ und die Schlüsselwörter des Bauhaus – Licht, Luft und Sonne – lassen sich zurzeit besonders leicht nachvollziehen, da das Archiv wegen Bauarbeiten bis zum 4. Oktober komplett leergeräumt ist. Damit sind das Museum und sein 300 Quadratmeter großer, sonst aus konservatorischen Gründen abgedunkelter Südsaal nun selbst ein sehenswertes Exponat. Dies und den 90. Geburtstag der in Weimar gegründeten Architektur-, Design- und Kunstschule nimmt Krüger zum Anlass, vom Archiv aus vier von diplomierten Architekten geführte Bauhaus-Touren anzubieten: in Dessau, West- und Ostberlin und eine speziell in Zehlendorf. Anders als bei den ersten drei Touren ist man dort nicht per Bus, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß unterwegs.

Bei der Premiere der Zehlendorf-Exkursion fahren Architekturfans aus Schottland, den USA und Berlin mit der U3 bis zum Bahnhof Onkel Toms Hütte. Der 1929 eröffnete Verkehrsbau ist mit seinen Ladenpassagen eine der ersten Shopping-Malls, erläutert Krüger. Die gleichnamige Wohnsiedlung am Rande des Grunewalds, entworfen von Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg, gehört streng genommen nicht zum Bauhaus-Erbe. Doch sie steht ganz im Geist von Neuer Sachlichkeit und Funktionalismus. Das Ensemble entstand Ende der zwanziger Jahre, als in der Stadt noch 100 000 Menschen in Kellern hausten. Auf ein Mietshaus kamen im Durchschnitt 76 Bewohner – mit dieser Dichte stand Berlin weltweit an der Spitze. Die wegen ihrer fröhlich-kräftigen Farbkontraste auch als „Papageiensiedlung“ bekannte Anlage mit 800 Reihen- und 1100 Mehrfamilienhäusern sollte Abhilfe schaffen. Und Wohn- und Lebensqualität liefern.

Morgens lässt die Sonne hier die in Grün und Blau gestrichenen Ostfassaden erstrahlen, abends erhellt sie die rötlich-braunen Westwände. Die Besucher sind überrascht: So bunt kann Bauhaus sein? „Das Problem ist, dass es damals noch keine Farbfotografie gab“, erzählt Krüger. „So nüchtern, wie die alten Fotos glauben lassen, war das Bauhaus nie.“ Verwunschene ehemalige Wirtschaftswege durchziehen die Grundstücke der Reihenhäuser mit dem typischen Flachdach, den quadratischen Fenstern mit den bunten Rahmen und den genau fünf Meter breiten, dicht bepflanzten Hintergärten: für Kinder ein wahres Paradies. Auch zu jeder Erdgeschosswohnung in den Mehrfamilienhäusern gehört ein Garten, an den sich ein großer, öffentlich nicht zugänglicher Gemeinschaftsgarten anschließt. Krüger holt einen Schlüssel der Siedlungseigentümerin Gehag aus der Tasche und öffnet das Gartentor. „Unser Konzept heißt ‚Türen öffnen‘. Wir möchten Zutritt zu architektonisch interessanten Räumen ermöglichen, die sonst nicht zugänglich sind“, sagt Krüger.

Das ist auch der Fall an der letzten Station der Führung im Quermatenweg. Das heutige heilpädagogische Zentrum „Parzival-Schule“ gilt nur zum Teil als Bauhaus-Zeugnis. Doch für Fans von Ludwig Mies van der Rohe als einem der bedeutendsten Architekten und dem letzten Direktor des Bauhaus ist es ein absolutes Highlight, da sich hier gleich drei Frühwerke des 1969 gestorbenen Formmeisters befinden: Seine zweite eigenständige Auftragsarbeit, das 1911 noch im neoklassizistischen Stil und in Anlehnung an Karl Friedrich Schinkels Formensprache errichtete Haus Perls. Das 1913 erbaute Haus Werner, das mit seinem Landhausstil überraschend und viel stärker der um 1900 populären Forderung nach regional-heimatlicher Bauweise folgt. Und zuletzt und damit dem klaren, lichten, funktionalistischen Bauhaus-Konzept am nächsten: der 1928 für das Haus Perls fertiggestellte Galerieanbau mit seiner großen Dachterrasse, die für Feste, Sport und Müßiggang gleichermaßen gedacht war. Und seit Neuestem auch Besucher nach einem langen, interessanten Fußweg durch Zehlendorf empfängt – mit weiten, großzügigen Linien wie mit offenen Armen.

Die Agentur Ticket B bietet Tagesexkursionen zum Bauhaus in Dessau an (sonntags 8.45 bis 19 Uhr) sowie Halbtagsexkursionen durch Zehlendorf (freitags 14 bis 18. 30 Uhr), Siemensstadt und Charlottenburg (samstags 10 bis 14.30 Uhr) sowie Ostberlin und Bernau (samstags 10 bis 15.30 Uhr). Buchung und Informationen unter www.ticket-b.de.

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