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Kultur: Architektur: Pferdekopf im Silbermantel oder: Wohl dem, der an Richtlinien wächst

Man hat Frank Gehry Unrecht getan. Die Urteile über sein Gebäude am Pariser Platz, die Berliner Repräsentanz der Frankfurter DG-Bank, fielen eher verhalten aus.

Man hat Frank Gehry Unrecht getan. Die Urteile über sein Gebäude am Pariser Platz, die Berliner Repräsentanz der Frankfurter DG-Bank, fielen eher verhalten aus. Die Schuld an der als streng empfundenen Rasterfassade vis-à-vis des Brandenburger Tores wurde zwar den Stimmannschen Gestaltungsrichtlinien gegeben, aber auch die überbordende Fantasie des kalifornischen Architekten als allzu gezügelt beurteilt.

Welch ein Irrtum! Jetzt ist das Haus zur Gänze fertig gestellt, und der mit zweijähriger Verzögerung von Gerüsten befreite Konferenzraum im Lichthof des Gebäudes lässt das Ensemble in seiner Gesamtheit als wahren Geniestreich erscheinen. Und, paradoxerweise, auch diesmal liegt die Ursache zu einem Gutteil in den bekrittelten Richtlinien. Denn Gehry, der sich bei frei gelassener Hand zu solch skulpturalen Gebilden wie dem Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao versteht, hat sich in Berlin in produktiver Weise mit den gestalterischen Einschränkungen auseinandergesetzt und ein Haus geschaffen, das vom Kontrast von strenger Rechtwinkligkeit und frei schwingender Form, von Kanten und Kurven, von Rationalität und Emotionalität lebt.

Bislang schon hatte der mit warmtoniger Oregon-Pine ausgekleidete Lichthof im durch ein hinreißendes Glasdach einfallenden Sonnenlicht weit bezwingender ausgesehen, als es eine Beschreibung seiner strikt repetierten Lochfassaden hätte erwarten lassen. Jetzt aber kommt mit dem Gegensatz des rötlich leuchtenden Holzes zum silbrigen Edelstahl der Konferenzraumverkleidung ein Materialkontrast hinzu, wie er schöner nicht sein kann. Eine nicht geringe Pointe ist, dass die organische Form des - einem gigantischen Pferdekopf ähnlichen - Tagungsraumes mit dem anorganischen Metall verkleidet ist, das verstandeskühle Raster der umlaufenden Bürotrakte hingegen mit lebendig glühendem Holz.

Den "Pferdekopf" hat Gehry wie stets am Computer entworfen. Pferdekopf, nicht der in Gehrys µuvre häufige Fisch: So jedenfalls bezeichnen ihn die Autoren des Katalogs zur derzeitigen Gehry-Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum, die noch mit Modellansichten des Berliner Bauwerks vorlieb nehmen muss. Der spät erst zu Aufträgen und Ruhm gekommene kalifornische Stararchitekt hat es wie kein zweiter vermocht, die nervösen Lineaturen seiner Handskizzen in ein Computerprogramm zu überführen, das nicht nur baureife Pläne liefert, sondern zugleich die Herstellung der komplizierten Verkleidungselemente steuert. Für Berlin indessen war Handarbeit gefordert, und aus der kniffligen Aufgabe, jede einzelne der Edelstahlplatten für die Außen- wie der Akustikholzstreifen für die Innenverkleidung als jeweils eigenes, dreidimensionales Gebilde zu fertigen, ergab sich die Verzögerung im Terminplan.

Durch das verglaste "Maul" des Pferdekopfes wird der Besucher regelrecht ins Innere gesogen. Zwei Brücken führen von den Seiten her auf den Eingang zu, die das davor liegende Glasdach über einer Veranstaltungsfläche im Untergeschoss queren. Die Forderung des Bauherrn, das Untergeschoss natürlich zu belichten, verwehrt der Konferenzskulptur allerdings einen unverstellten Auftritt inmitten des Lichthof-Gevierts. Nur aus den oberen Stockwerken ist der Blick auf Gehrys Skulptur so frei, kommen die Material- und Formkontraste so unverstellt zur Geltung, wie sie der Architekt ersonnen hat. Das Innere des Tagungsgebildes überrascht dann wieder mit einer Strenge, die eher an die ovale Ausgabe eines klassizistischen Anatomie-Hörsaales denken lässt: Zwei steil übereinander angeordnete Sitzreihen blicken auf einen längsovalen Konferenztisch in der Mitte, dem ein Lederbezug so etwas wie Kommerzienrats-Gediegenheit mitgeben soll. Allein die zugleich wuchtige und luftige Dolmetscherkabine sowie drei, hoch im Raum über Eck verteilte Großbildschirme für Videoschaltungen erinnern daran, in der Raumschöpfung eines der technisch avanciertesten Architekten unserer Zeit zu sitzen.

Wunderbar ist die Materialbehandlung, rötliche Oregon-Pine auch hier, vor allem in den lamellenartig übereinander gelegten Akustikhölzern unter der geschwungenen, zusätzlich von einem gläsernen "Auge" belebten Decke, draußen dann der Edelstahl; allein die Glasdecken, die den Konferenzssal rings umgeben, lassen Probleme in der Alltagsnutzung erahnen. Eine scheinbar so entfesselte Architektur wie die des 70-jährigen Wahlkaliforniers bedarf der makellosen Ausführung, um nicht ins Schäbige abzugleiten; jedenfalls hier, bei diesem 350-Millionen-Mark-Projekt der DG-Bank, wo Gehry von ökonomischen Zwängen frei gehalten wurde. Früher hat Gehry mit der Gewöhnlichkeit von Baumaterialien gespielt, als er Rohrgestänge und Maschendraht in sein Wohnhaus einfügte.

Eine neue Zeitrechnung der Berliner Architektur sei angebrochen, die die Zeit vor und die nach Gehrys Bankhaus unterteile, jubelten begeisterte Kollegen bereits. Das ist, bei aller Freude über einen gelungenen und wunderbar die ästhetische Balance haltenden Bau, vielleicht des Guten zuviel. Zweifellos hat der - vor Jahren bei seinem Entwurf für die Renovierung der Museumsinsel als Banause geschmähte - Gehry einen Maßstab gesetzt, wie mit städtebaulichen Vorgaben umgegangen und gleichwohl architektonische Fantasie beflügelt werden kann. Das ist es, was ihn endgültig zum Klassiker der zeitgenössischen Baukunst macht.

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