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Architektur: Tier und Tor

Der Architekt Carl Gotthard Langhans verkörpert die Berliner Klassik. Die stilistische Bandbreite seiner Bauten, vom Spätbarock bis zur romantischen Neogotik, mutet heute sehr modern an.

Entdeckerglück im Hinterhof. Wer vom Deutschen Theater kommend Richtung Charité-Hochhaus abbiegt, ahnt nicht, dass sich hinter der Hausnummer Luisenstraße 56 eins der schönsten Gebäude Berlins verbirgt. Vorn an der Straße steht zwar auch ein recht ansehnlicher Bau, das 1839/40 nach Entwürfen von Ludwig Ferdinand Hesse errichtete Lehrgebäude der Königlichen Tierarzneischule. Für Architekturhungrige ist das aber nur der Vorgeschmack. Denn dahinter lockt ein parkartig verwunschenes, ziemlich zugebautes Grundstück. Irgendwo fließt sogar die Panke. Und plötzlich steht es vor einem, das im Revolutionsjahr 1789 begonnene „Theater“ der Tierarzneischule. Carl Gotthard Langhans, der Architekt des Brandenburger Tores, hat das Zootomie-Theater in die grüne Peripherie Alt-Berlins gestellt.

Kuppel, Säulen, hohe Fenster. Noble Gesten für ein Gebäude, in dem Pferde und andere Vierbeiner auf dem mechanisch hebbaren Seziertisch lagen. Die angehenden Veterinärmediziner – darunter Angehörige der preußischen Armee – saßen auf umlaufend ansteigenden Bankreihen wie in einem Amphitheater.

Nach Jahrzehnten des Verfalls wird das Baudenkmal derzeit vom Berliner Architekturbüro Müller Reimann restauriert. Sobald Planen und Gerüste fallen, zieht das Helmholtz-Zentrum der Humboldt-Universität ein: ein kulturwissenschaftliches Kompetenzzentrum, das die Sammlungen von Universität und Charité betreuen und erforschen soll. Die Rettung und Konservierung des Gebäudes, von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert, ist auch ein Geschenk an seinen Architekten. Am 1. Oktober jährt sich der Todestag von Carl Gotthard Langhans zum 200. Mal.

In die Reihe posthumer Gaben reiht sich eine Dissertation ein, die der Architekt Jens-Oliver Kempf in der Reihe „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin“ publiziert hat. Kempf hat Akten studiert und mit Architekturstudenten der Technischen Universität das Zootomische Theater erstmals umfassend aufgemessen. Kempfs Tiefenbohrung macht deutlich, dass seit 1909 kein Architekturhistoriker mehr das Leben und Werk von Langhans im Überblick dargestellt hat.

Und zu erzählen, zu deuten und vor allem zu berichtigen gäbe es genug. Etwa das Fehlurteil, das schon der Hofbildhauer und Akademiedirektor Johann Gottfried Schadow – Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor – über Langhans in die Welt setzte. Der 1733 in Landeshut/Schlesien geborene Baumeister sei kein schöpferischer Künstler, sondern nur ein ängstlicher Nachahmer gewesen. Selbst das Brandenburger Tor, auf Wunsch von König Friedrich Wilhelm II. zur Verschönerung der Stadt errichtet, wird in dieser Lesart zur Kopie. Zur „Verwerthung einiger Motive von den Propyläen des Mnesikles zu Athen“, wie es im Nachschlagewerk „Berlin und seine Bauten“ von 1877 lapidar heißt.

Ob das Wahrzeichen der Hauptstadt jedoch „der erste Bau des deutschen Klassizismus“ ist, wie noch im Katalog zur Tor-Restaurierung 1991 zu lesen war, darf ebenso bezweifelt werden. Ein dogmatischer Klassizist war Langhans gewiss nicht. Die stilistische Bandbreite seiner Architektur, vom Spätbarock bis zur romantischen Neogotik, mutet heute sehr modern an.

Das bestätigen weitere Berliner Langhans-Bauten wie die kupferverkleidete Turmhaube der Marienkirche am Fuß des Fernsehturms. Neogotisch bis in die Spitze. Oder das Belvedere im Charlottenburger Schlosspark: Mimikry im spätbarocken Ensemble. Doch nur wer seine schlesischen Bauten kennt, kann die Vielfalt einordnen. Bauten, die man Frühwerke nicht nennen mag, weil Langhans Mitte 50 war, als er vom König 1786 nach Berlin berufen wurde.

In Schlesien, der damals noch jungen preußischen Provinz, hat der studierte Jurist in den 1760er Jahren als Bauinspektor eines schwerreichen Fürsten die Architektenlaufbahn begonnen. Dort haben sich ein paar bemerkenswerte Schlösser, Innenräume und Kirchen nach seinen Entwürfen erhalten. Unmittelbarer als die Berliner Bauten verarbeiten sie Bildungserlebnisse des architektonischen Selfmademan: Italien, England, Frankreich. In Paris studierte er neueste Projekte der „Revolutionsarchitekten“ Boullée und Ledoux, die tatsächlich Günstlinge von König und Hochadel gewesen sind. Auch Langhans, seit 1788 Chef des Oberhofbauamts in Berlin und Potsdam, war kein Umstürzler.

Und doch trug er zur ersten Blüte bürgerlicher Kultur in Preußen bei. Zu jener Kunstepoche, die der Schriftsteller Günter de Bruyn in seinem wunderbaren Buch „Als Poesie gut“ besungen hat. Und die manche inzwischen in Anspielung an Weimar „Berliner Klassik“ nennen.

Damals war der Zeitgeist auf Ideen, nicht aus Stein gebaut. Zwischen 1790 und 1815 sind nur wenige Gebäude mit überregionalem Anspruch in Berlin entstanden. Staat und Bürger waren arm (und wurden nach dem verlorenen Krieg von 1806 noch ärmer). Das Brandenburger Tor, das „Wissenschaftstheater“ der Tierarzneischule oder das 1817 abgebrannte, bis dahin jedoch sehr erfolgreiche Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt waren Carl Gotthard Langhans’ Beiträge zur neuen Zeit. Berliner Klassiker.

Jens-Oliver Kempf: Die Königliche Tierarzneischule in Berlin von Carl Gotthard Langhans. Eine baugeschichtliche Gebäudemonographie, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2008, 256 S., 154 Abbildungen, 68 €.

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