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Das Opera House in Covent Garden, im Theater District von London

© imago images/russellkord.com

Arien für den armen Norden: Wie in England Kulturpolitik gemacht wird

Die britische Kulturförderung orientiert sich um. Wird die Hauptstadtkunst langsam abgewickelt?

Ist es ein unmoralisches Angebot oder ein Dekret konservativer „Political Correctness“, welches der English National Opera (ENO) von der wichtigsten Förderinstitution Englands vorgelegt wurde? Der Arts Council gab gerade seine Subventionen für die nächsten drei Jahre bekannt und stellte dabei das Londoner Traditionshaus vor eine delikate Wahl: Entweder es verlässt das legendäre Coliseum in der Londoner St Martin´s Lane, um mit allen 300 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in eine andere Stadt zu ziehen - die Rede war von Manchester -, oder es muss auf seine jährliche Förderung in Höhe von 12,5 Millionen Pfund mit Ende des Budgetjahres verzichten.

Das radikale Vorgehen des Arts Council England reflektiert die Veränderungen in der britischen Kulturförderung. Schon bald nach dem Brexit war die Institution unter Druck geraten, sich zu stark auf London konzentriert zu haben. In der konservativen Regierung wurde moniert (und in Teilen der Kulturszene reflektiert), dass viele Kulturangebote für weite Teile der Bevölkerung nicht zugänglich gewesen waren.

Speziell den Kulturschaffenden in London wurde vorgeworfen, den Bezug zu wichtigen Belangen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Land verloren zu haben. Seither hat der Arts Council deutlich mehr Organisationen in der „Provinz“ gefördert. Eine solche Verschiebung der Prioritäten weg von London ins Land kam überraschend.

In London verbleibt nur noch ein Drittel des Fördergelds

Der strategische Schritt ist im Licht des sogenannten „Levelling Up“-Programms zu sehen, das noch unter Boris Johnson ins Leben gerufen wurde und 4,8 Milliarden Pfund für Sanierungs- und Infrastukturprojekte in ganz Großbritannien und speziell im Norden vorsieht. Auch der Arts Council erhielt eine Vorgabe der Regierung, den englischen Norden in seiner Kulturförderung stärker zu berücksichtigen. Dies nahm der Arts Council ernst und gab nun bekannt, in diesem Jahr 383,5 Millionen der insgesamt 446 Millionen Pfund an 282 Organisationen im Norden des Landes zu geben. In London verbleibt damit nur noch etwa ein Drittel des Fördergelds.

In England müssen sich Kulturorganisationen und -institutionen alle drei Jahre um Fördermittel des Arts Council England bewerben. Erst, wenn sie Teil der „National Portfolio of Organisations“ (NPO) werden, haben sie das finanzielle Fundament, ihre Arbeit für die nächsten Jahre fortsetzen zu können. Neu war in dieser Runde, das alle Londoner Antragsteller die Frage beantworten mussten, ob sie willens seien, ihre Arbeit auch in einer anderen Stadt fortzusetzen. Mit einem Haken konnten sie einem Umzug zustimmen - und womöglich ihre Förderungschancen verbessern.

Nicholas Serota, der Präsident des Arts Council England, versuchte, die neuen Weichenstellungen in der BBC zu erklären: „Der Arts Council hat schon immer Kunst im ganzen Land unterstützt, aber wir waren der Meinung, dass eine gerechtere Verteilung des Geldes im ganzen Land nun notwendig ist.“ Im gleichen Interview sprach er von sehr schwierigen Entscheidungen, die die Förderinstitution zu treffen hatten und stritt eine zu große Nähe zur Regierung ab. Deren relativ konkrete Vorgaben rechtfertigte er damit, dass die Arts Council-Mittel Steuergelder seien und die grobe Richtung von der Regierung mitbestimmt werden müsse. Gleichzeitig versuchte Serota, die Unabhängigkeit und den Handlungsspielraum des Arts Council hervorzuheben.

Innerhalb der English National Opera versucht man derweil, sich die Laune nicht vollends verderben zu lassen. Als sich unlängst die neue private Fördergruppe „European ENO Friends“ in der Pause von Gilbert & Sullivans „The Yermon of the Guard“ mit den Theaterleuten zu einem Glas Champagner traf, wurden die Entwicklungen zuweilen mit Sarkasmus kommentiert. Man sei „wohl etwas zu erfolgreich mit der Corona-bedingten Digitalstrategie gewesen“, sagte eine ENO-Mitarbeiterin mit Galgenhumor. Offenbar hätten die Kulturpolitiker jetzt den Eindruck, als käme der physischen Spielstätte keine Bedeutung mehr zu. Andere reagierten mit blanker Bestürzung auf die Idee, eine Kulturinstitution, die jährlich eine halbe Million Besucher anzieht, einfach zu verpflanzen.

Die Bekanntmachung versetzt auch außerhalb der ENO viele in einen Schockzustand. Weltbekannte Londoner Kulturorganisationen ohne Plan innerhalb weniger Monate in andere Städte im Land zu versetzen oder ihnen die Förderung abzusprechen, höre sich weniger nach einem „Levelling-up“ der Provinz an, als nach einem „Levelling-down“ des einzigartigen Kulturangebotes Londons, heißt es bei Betroffenen.

Viele etablierte Londoner Institutionen kamen nahezu ungeschoren oder glimpflich davon, darunter das Royal Opera House, das Southbank Centre, das Battersea Arts Centre oder die Akram Khan Dance Company. Der kleine, aber angesagte Kunstort AutoItalia im Osten Londons konnte seine Förderung sogar erhöhen. Tourneekompanien wie das English National Ballet mussten Kürzungen hinnehmen. Kleine Londoner Häuser wie das Donmar Warehouse Theater oder das Hampstead Theater gingen dieses Mal leer aus. Außerhalb Londons wurden gewachsene Organisationen wie FACT Liverpool und die Manchester City Galleries weiterhin berücksichtigt. Neu auf der Liste sind nun aber 78 Kulturorganisationen, von denen man in der britischen Hauptstadt bislang noch nicht viel gehört hat.

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