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Kultur: Arme Seelen

Die Plastiktüte - vorzugsweise mit Aldi-Logo - wird zum unverzichtbaren Bühnenrequisit.In Marthalers "Pariser Leben" schrumpfte das angestrebte Amüsement auf Plastiktütenformat.

Von Sandra Luzina

Die Plastiktüte - vorzugsweise mit Aldi-Logo - wird zum unverzichtbaren Bühnenrequisit.In Marthalers "Pariser Leben" schrumpfte das angestrebte Amüsement auf Plastiktütenformat.In der Tanzproduktion "Anything else", die in den Sophiensälen zu sehen ist, wird von Anfang an die Aldi-Tüte geschwenkt.Darin soll sich die ganze Schäbigkeit des Massenkonsums materialisieren, ja, sie verweist auf die Trostlosigkeit der modernen Existenz.Luc Dunberry, Tänzer aus dem Ensemble von Sasha Waltz, hat seine Produktion gemeinsam mit Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola und Sigal Zouk erarbeitet.

Außer der Tüte tragen die Tänzer Second-Hand-Klamotten von ausgesuchter Scheußlichkeit.Die Einzelteile ergeben ein stimmiges Gesamtbild.Doch natürlich geht es nicht nur um Stilkritik.Gezeigt werden Elendsbilder aus einer vor allem seelisch verarmten Wohlstandsgesellschaft.Alles Miteinander mündet in Gewalt, die aus Vereinzelung und Gleichgültigkeit resultiert.Die Tänzer verschanzen und verkriechen sich in drei Sperrholz-Umkleidekabinen.Zugleich versuchen sie immer wieder, aus ihren Isolationszellen auszubrechen, kriechen und hangeln sich von Kabine zu Kabine.Wenn keine Wände oder Hindernisse zwei Körper trennen, dann stoßen sie sich wund an den inneren Barrieren.Alle Versuche, unüberwindbare Distanz zu überbrücken, münden in Drangsalierung und Manipulation.

Wenn Luc Dunberry seine Partnerin berührt und sie stets erneut seine Hand wegstößt, dann könnte daraus ein spannedes Duo resultieren - wenn nur das timing stimmen würde.Doch zu unmittelbarem sinnlichen Erleben sind wir gar nicht mehr imstande, wir regaieren nur noch auf medial vermittelte Reize: Um auch diese These mit unnötiger Deutlichkeit zu veranschaulichen, hält Juan Kruz Diaz einen Recorder über den kollabierenden Körper der Frau.Beklemmend allerdings die Szene, in der Luc Dunberry dann die Hosen runterläßt - auf drastische Weise wird vorgeführt, wie Sexualität zur Notdurft verkommt.Den Körpern ist jede Anmut ausgetrieben, zu sehen sind stattdessen brutale Stürze.Kulturkritik wird eher auf- als eindringlich formuliert.Und so sehr die gutaussehenden jungen Menschen sich auch Mühe geben, so richtig verkorkst auszusehen: das Elend bleibt weitgehend Behauptung.

Noch einmal heute, 20 Uhr, in den Sophiensälen

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