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Vom Traum zur Traumatisierung. Bootshafen in Juan Les Pins an der Côte d’Azur, eine der Stationen der Familie Frank.

© Alamy Stock Photo

Arno Frank und sein Roman "So, und jetzt kommst du": Ganz unten im Süden

Mit einem kriminellen Vater und einer ratlosen Mutter auf der Flucht: Arno Frank erzählt in dem Roman „So, und jetzt kommst du“ seine Familiengeschichte.

Am Ende eines immer dramatischer werdenden Geschehens, eines wohl mehr als prägenden, wenn nicht gar traumatisierenden Abschnitts seiner Adoleszenz, betont Arno Frank, und zwar so, dass er es gleich zweimal schreibt: „Ich kann mit ihm machen, was ich will.“ In diesem Satz klingt Rache mit durch. Rache an seinem Vater, dessen weiteres Schicksal er an dieser Stelle gerade mal auf knapp einer Seite abhandelt. Man kann diesen Satz überdies als eine Art Poetologie verstehen. Denn was Arno Frank gemacht und gewollt hat: Er hat die Geschichte seiner Kindheit und Jugend bis zum 14, 15. Lebensjahr geschrieben. Und diese ist, oft gar nicht so naturgemäß, eng verbunden mit den Flausen des Vaters, mit dessen krimineller Energie und Träumen vom schnellen Reichtum, mündend in einer Flucht mitsamt Ehefrau und drei Kindern durch Frankreich und Portugal.

„Der eigene Vater ein Hochstapler – nach einer wahren Geschichte“, so steht es hinten auf Franks Buch. Es trägt den Titel „So, und jetzt kommst du“, nach einem Satz, den der Vater immer mal wieder sagte, wenn er versucht hatte, seinen Sohn in die Geheimnisse des Lebens einzuweihen. Obwohl sie eine wahre sein soll, wird diese Geschichte doch als „Roman“ ausgewiesen.

Der unter anderem für die „taz“, die „Zeit“ und „Spiegel online“ tätige Journalist Arno Frank hat sich also die Freiheit genommen, sich, seinen Vater und die restliche Familie zu Romanfiguren zu machen und die wahren Begebenheiten auszuschmücken, dramaturgisch in Form zu bringen, womöglich etwas abenteuerlicher oder spannender zu machen, als sie tatsächlich waren. Dabei stellt sich die Frage: Wie nahe wollte Frank der Wirklichkeit kommen? Betreibt er diese Form von Autofiktion als Selbstzweck oder zum Schutz? Wie literarisch soll das Ganze sein?

Von Kaiserslautern geht es nach Südfrankreich und nach Portugal

Viel geht es hier schließlich um einen Jugendlichen mit einem notgedrungen mangelhaft ausgebildeten Gefühlsleben. „So, und jetzt kommst du“ trägt Züge eines Bildungsromans, in dem das Zeitkolorit, hier die mittleren achtziger Jahre, nicht zu kurz kommt, vom Sony-Walkman über den Diercke-Atlas bis hin zu Boris Beckers erstem Wimbledon-Sieg. Aber der Roadroman, die Geschichte einer Odyssee durch Europa, muss gleichfalls erzählt werden. Diese Geschichte ist eine tragische, eine spannende zugleich, sie geht an die Nieren und dürfte keinen Leser, keine Leserin unbeeindruckt lassen.

Frank, der 1971 in Kaiserslautern geboren wurde, schildert, wie seine Mutter und sein Vater sich kennenlernen, wie sie Kinder in die Welt setzen und immer wieder mal umziehen müssen. Das hängt ab von den Einkünften und Beschäftigungen des Vaters, der von Beruf Geschäftsmann ist, Geschäftevermittler, vor allem: Autoverkäufer und Autonarr. Manche schillernde Gestalt kommt da zu den Franks nach Hause, und der junge Arno versteht nicht, was sein Vater eigentlich so treibt: „Bald ertappte ich mich dabei, wie ich die zwielichtigen Verbrecher meiner Hörspiele im Geiste mit den Gesichtern der Geschäftsfreunde meines Vaters ausstattete. War nicht das ,Business’ meines Vaters so rätselhaft wie etwas, dem junge Detektive auf die Schliche kommen wollen würden?“

Eines Tages ist Schluss. Zwei Polizeibeamte stehen vor der Tür. Hals über Kopf verlässt die Familie das Haus in der Nähe von Kaiserslautern, mitten in der Nacht. Es geht gen Frankreich, in den Süden, in eine Villa an der Côte d’Azur, die erst wahnsinnig Eindruck macht, von der aber nach und nach der Lack abblättert, weil kein Geld mehr da ist, um sie in Schuss zu halten. Auch hier stehen eines Tages Polizisten vor der Tür. Ein portugiesischer Bauarbeiter bringt Arno, seine Geschwister Jeany und Fabian sowie die Eltern mitsamt zweier ihnen ans Herz gewachsener Hunde nach Portugal, in einen Rohbau irgendwo auf dem Land. Es folgt die schnelle Weiterreise nach Lissabon, in eine Pension. Hier macht Arno bald gar nichts mehr. Das Geld wird immer weniger, der Hunger größer, und was so spannend begann für die Kinder, tatsächlich ein wenig Abenteuercharakter hatte, wird zu einer Schreckenstour, zu einem Fall, der kein Ende nehmen will, weil es immer noch tiefer geht.

"Ich will in die Schule gehen. (...) Ich will, dass Papa aufhört ein Zombie zu sein"

Das Herumlungern, das Warten, das Sich-Verstecken, das Unsichtbarwerden, all das beschreibt Frank eindringlich. Einmal bricht es aus seiner Schwester heraus, als sie dem Bruder ihren Hunger gesteht und warum sie sich von Fremden einladen lässt: „Ich will in die Schule gehen. Ich will Freundinnen haben. (...) Ich will, dass Mama sich wieder richtig um uns kümmert. Ich will, dass Papa aufhört ein Zombie zu sein. Nach Hause will ich.“

Die essenzielle Hilflosigkeit eines Kindes spricht aus diesen Worten. Was umso mehr auffällt, da Frank gerade für das eigene Erleben häufiger Formulierungen und Bilder wählt, die ihn als auktorialen und gereiften Erzähler ausweisen und nicht als 14-jährigen Jungen, was „So, und jetzt kommst du“ hin und wieder in eine seltsame Schieflage bringt. In eine poetische zudem: Literatur? Oder rohe, ungeschlachte Wirklichkeit, die hier ja oft aufblitzt? Manches Bild ist da eine Idee zu schön, zu gekonnt geraten.

Die Mutter und der Vater verlieren schließlich als Romanfiguren mehr und mehr ihre Konturen, bis bald gar nichts mehr von ihnen übrig ist. Warum zieht die Mutter nicht irgendwann die Notbremse? Was treibt den Vater? Wie stehen sie zu ihren Kindern? Lieben sie sie? Der Erzähler, der nach so vielen Jahren diese Geschichte endlich zu Papier bringt, das ahnt man, weiß noch viel mehr über sie. Oder mag er ihnen kein Eigenleben mehr zugestehen? Es scheint am Ende, als habe Arno Frank ganz bewusst die schlimmsten Figuren in dieser Geschichte, in seinem Leben, die Eltern, zum Verschwinden gebracht. Auf dass dieser Ballast endgültig von ihm abfallen möge – und er nun wirklich sagen kann: So, und jetzt komme ich.

Arno Frank: So, und jetzt kommst du. Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 352 Seiten, 22 €.

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