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Was nun, was tun? Arno Geiger lässt in seinem "Selbstporträt mit Flusspferd" alles, wirklich alles offen.

© Hanser Verlag

Arno Geiger: "Selbstporträt mit Flusspferd": Feinstaubsorgen

Vagheit und Verzagtheit: Arno Geigers „Selbstporträt mit Flusspferd“ will sich nicht entscheiden - ein Umstand, den das Buch mit seinem Helden teilt.

Ganz zum Schluss packt Judith noch einmal aus. Oben in der Wohnung wartet ihr neuer Freund, unten auf der Straße liest sie Julian die Leviten: Ein Miesmacher sei er, ein Pessimist, ohne Humor; einer, der in den anderen immer nur den Spießer sehe, aber dabei selbst der größte Spießer sei. „Bei dir seh ich nichts, nur Behauptungen und ein bisschen Karate.“ Sie spricht aus, was man sich als Leser die ganze Zeit über gedacht hat. Und mit so einem hat man sich mehr als 280 Seiten herumschlagen müssen. Oder ist es eine Volte nach dem Motto: Was du nicht verbergen kannst, sollst du betonen?

Erst zehn Jahre später werden sich Julian und Judith wiedersehen, im Jahr 2014, da ist Julian Tierarzt, und Judith bringt ihm eine verletzte Eule, für die jede Hilfe zu spät kommt. „Ich hoffe, du hast gefunden, wonach du gesucht hast“, sagt Judith. „Im Großen und Ganzen ...“, antwortet er, und das ist wieder so eine Julian-Antwort, die alles offen lässt und letztlich nichts sagt.

Arno Geiger und sein Durchschnittsheld

Arno Geiger ist in seinen starken Büchern ein minutiöser Protokollant sanfter Alltagsverschiebungen im Leben seiner Durchschnittshelden. Die damit verbundene Gefahr ist offenkundig: Der Übergang vom Porträtieren mittelmäßiger, phlegmatischer und nach allgemeinem Verständnis nicht sonderlich aufregender Charaktere zur Verflachung ihrer Darstellung ist nahezu fließend, so auch im neuen Roman „Selbstporträt mit Flusspferd“. In diesem Grenzgebiet allerdings kennt sich Geiger bestens aus, und er stimmt von Beginn an einen so leichtfüßigen Hallodri-Ton an, dass man eine Zeit lang gar nicht bemerkt, welche Ansammlung von Banalitäten und Existenzpetitessen man hier untergejubelt bekommt, mutmaßlich in voller Absicht.

„Selbstporträt mit Flusspferd“ ist überwiegend angesiedelt im Wien des Jahres 2004, Kinofilme und historische Ereignisse markieren den Zeitraum exakt; das allerdings hat keine weitere Bedeutung, außer dass auf diese Weise der Abstand zur Eulenszene und zur Gegenwart hergestellt wird. Julian ist 22 Jahre alt, Student der Veterinärmedizin. Judith, seine Freundin, hat sich soeben von ihm getrennt. Oder er sich von ihr. So genau weiß er das selbst nicht, und auch das spricht schon wieder Bände.

Julian ist der Typ, der in seiner Dauerpassivität zum Täter wird, sich aber immer als Opfer fühlen darf. Denn er hat ja nichts getan. Zu Regungen ist er schon fähig, aber die sind erwartbar und klein. Immer wieder lässt Arno Geiger das Weltgeschehen in Form von Terroranschlägen aufblitzen, ein Selbstmordattentäter in Tel Aviv oder die Geiselnahme in einer Schule im nordossetischen Beslan. Das dient einzig und allein der Kontrastbildung und der Abbildung eines komplett unpolitischen Bewusstseins, denn Julian findet das alles selbstverständlich schrecklich. In Wahrheit hat er ganz andere Sorgen. Die Wohnung, in der er untergekommen ist, ist ziemlich laut, „hauptsächlich Fließverkehr. Und an die U-Bahn werde ich mich gewöhnen. Aber der Feinstaub macht mir natürlich Sorgen.“

Julian findet Zwergflusspferd

Was Geiger einfängt, ist die Gestimmtheit der Phase zwischen endgültigem Abschied von der Jugend und endgültigem Erwachsensein; eine Atmosphäre des Zweifelns, der Unsicherheit, der Möglichkeiten und der Ängste vor selbigen. „Selbstporträt mit Flusspferd“ erzählt von der ersten richtigen Trennung. Weil das nicht genügt, muss in die Lethargie danach Dynamik hineingebracht werden. Für einen Freund übernimmt Julian einen Job: Im Garten des schwer kranken Professors Beham ist ein Zwergflusspferd provisorisch untergebracht, das versorgt werden muss. Der Professor hat eine Tochter, Aiko, fünf Jahre älter als Julian, ein prätentiöses, ätherisches Wesen. Und wieder beginnt das Spiel von Unentschlossenheit und inneren Widersprüchen.

Geiger lässt alles, wirklich alles offen; das Leben liegt vor Julian nicht wie eine lange Straße, sondern als eine Ansammlung komplizierter Verkehrsknotenpunkte. Einzig das Flusspferd und dessen Betrachtung sorgen für eine gewisse Gemütsberuhigung, wobei noch nicht einmal geklärt ist, ob dieses schwere, selbstgenügsame Wesen Julians Trägheit spiegeln oder konterkarieren soll. Vagheit und Verzagtheit also, wohin man schaut. Irgendwie und irgendwann, das ist die schmale Erkenntnis des Romans, wird dann ja doch ein Mensch daraus, der im Leben steht und sich behaupten kann. Ist das nun ein ganz und gar triviales Buch? Oder ein Buch über ganz und gar triviale Nöte? Ein Unentschieden, auch hier.

Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd. Roman. Hanser Verlag, München 2015. 288 Seiten, 19, 90 €.

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