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Ars Nobilis: Große Verführer im kleinen Maßstab

Die aktuelle Sonderschau der Ars Nobilis versammelt Miniaturen bedeutender Bauwerke und Möbel neben anatomischen Modellen.

Die Wochen vor und um Weihnachten sind die Zeit, wo erwachsene Männer in Augenhöhe ihrer grundschulpflichtigen Söhne auf Knien herumrutschen. Papa und Sohnemann starren dann zu Hause oder in speziellen Ausstellungen fasziniert jenen Miniaturlokomotiven hinterher, die Miniaturzüge durch extrem geschrumpfte Landschaften ziehen. Modelleisenbahnen sind filigrane Schau- und Lernobjekte, kein Spielzeug.

Die Verkleinerung der Erwachsenenwelt muss nicht zwangsläufig mit ihrer Verniedlichung einhergehen. Und sie ist viel älter als die Geschichte von Märklin & Co. Zum zehnten Jubiläum widmet die Ars Nobilis ihre traditionelle Sonderausstellung dem Thema „Große Kunst im kleinen Maßstab“. Gezeigt werden Modelle von Bauwerken, Architekturdetails und Denkmälern, Miniaturöfen, Miniaturmöbel und anatomische Modelle.

Die Spanne der angebotenen Objekte reicht von der 44,5 Zentimeter hohen Nachbildung der Florentiner Domkuppel, effektvoll aus Perlmutt, Elfenbein und Ebenholz gefertigt, das Albrecht Neuhaus aus Würzburg mitbringt, bis zu einem um 1925 entstandenen anatomischen Lehrmodell eines menschlichen Kopfes aus Wachs, das der sonst auf Architekturzeichnungen und -modelle spezialisierte Ernst von Loesch beisteuert.

Modelle, die künstlerische Entwurfsgedanken oder wissenschaftliche Erkenntnisse verdeutlichen, waren wohl schon immer Sammlungsobjekte. In den frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern schätzte man aus Elfenbein geschnitzte Nachbildungen schwangerer Frauen, denen hinter der geöffneten Bauchdecke einzelne Organe entfernt werden müssen, bis man den Fötus sieht. Noch beliebter waren sogenannte Muskelmänner: feine, meist aus Buchsbaum geschnitzte Statuetten, die anstelle von Haut jeden Muskelstrang zur Schau stellen. Hochspezialisierte Elfenbeinschnitzer wie der Nürnberger Stephan Zick setzten Ende des 17. Jahrhunderts in ihren Modellen neueste Erkenntnisse der Medizin um. Angehenden Ärzten zur Fortbildung, den Sammlern zum wohligen Erschauern. Georg Laues Kunstkammer bringt einige derartige Objekte mit auf die Ars Nobilis.

Ergriffenheit ganz anderer Art überkam gebildete Weltenbummler der Goethezeit beim Anblick von Korkmodellen der antiken Bauwerke Roms oder Tivolis. Wer es sich leisten konnte, erwarb auf seiner Grand Tour nicht nur Piranesis Stiche, sondern einen Vesta-Tempel oder Konstantinsbogen aus den Werkstätten von Antonio Chichi oder Georg May. In Sammlungen fürstlichen Ursprungs wie im Gothaer Schloss Friedenstein haben sie sich bis heute erhalten. Korkmodelle dienten ebenso der Architekten- und Künstlerausbildung, noch 1804 wird über ihre didaktische Qualität behauptet, „die Ideen der alten Architektur werden so sehr fasslich, dass man der Reise zu den Originalen selbst überhoben ist“.

Im Entwurfs- und Präsentationsprozess spielten Architekturmodelle seit dem 16. Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Erfunden im Italien der Frührenaissance, klären Modelle die Wirkung eines geplanten Bauwerks. Am Modell des Petersdoms, wie ihn Antonio da Sangallo einst plante, entzündete sich heftige Kritik, die zu seiner Ablösung führte. Der 71-jährige Michelangelo, der Da Sangallo beerbte, lästerte sogar, in den finsteren Ecken und Winkeln des Entwurfs hätten Nonnen geschwängert, Falschgeld geprägt und andere Missetaten begangen werden können. Das fast acht Meter lange Sangallo-Modell war 1994 in Schinkels Altem Museum zu sehen.

Doch auch der konträre Fall, dass Modelle mindestens so gut wie das real Gebaute aussehen, gilt bis in die Gegenwart. Selbst charmant gebastelt wirkende Modelle wie das von Ariane Laue (München) auf der Ars Nobilis angebotene Chateau de Digoine aus Kork – das neoklassische Original steht seit 1780 im Burgund – besitzen eine starke Ausstrahlung.

Große Verführer sind auch Miniaturmöbel, die in Deutschland besonders im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet waren und regelmäßig von Kunsthändlern und auf Auktionen angeboten werden. Spielzeug, Werbemittel oder Teil der Meisterprüfung? Über die Funktion der Kommödchen, Schränkchen und Minisekretäre ist viel gemutmaßt worden. Georg Himmelheber, der Nestor der deutschen Möbelforschung, räumt in der aktuellen Ausgabe des Antiquitätenmagazin „Weltkunst“, die der Ars Nobilis ein Special widmet, mit derlei Deutungen auf. Als Schatullen für Briefe, Tagebücher und andere intime Kostbarkeiten waren die Miniaturmöbel beliebt. Kleine Schmuckstücke eben.

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