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Kultur: art forum berlin: Jünger, größer, internationaler

"If it starts to hurt you, then you have to say so," steht in großen Lettern an der Kojenwand des Berliner Galeristen Markus Richter. Den freundlichen Ratschlag des britischen Künstlers Tim Ayres darf man sofort beherzigen oder als ständige Aufforderung für 2600 Mark (als Edition) mit nach Hause nehmen.

"If it starts to hurt you, then you have to say so," steht in großen Lettern an der Kojenwand des Berliner Galeristen Markus Richter. Den freundlichen Ratschlag des britischen Künstlers Tim Ayres darf man sofort beherzigen oder als ständige Aufforderung für 2600 Mark (als Edition) mit nach Hause nehmen. Doch auf dem gestern eröffneten fünften "art forum" hat bislang noch niemand über Schmerzen geklagt. Die Stimmung auf der 1996 gegründeten Berliner Kunstmesse ist geschäftig, angespannt, denn die Teilnahme an der auf jüngste Produktion spezialisierten Verkaufsausstellung ist für Galerien aktueller Kunst zwar prestigeträchtig. Aber Berlin gilt noch immer nicht als neues Mekka des Kunsthandels; es fehlt in der Stadt an Käufern, Geld und der privaten Sammler-Kultur.

Trotzdem scheinen die Voraussetzungen für das "art forum" besser als bislang. Der Umzug in die neuen Messehallen unterm Funkturm hat allen gleichermaßen luftige Höhe und Tageslicht beschert. Kunstwerke wie Besucher können das gebrauchen, denn 159 Galerien zeigen hier die Werke von 1800 Künstlern. Dazu haben 16 Verlage und zehn Editeure von Grafiken und Multiples ihre Stände aufgebaut; ferner präsentieren sich 23 Institutionen vom Steirischen Herbst in Graz bis zum Berliner Vitra Design-Museum mit eigenen Kojen. Eine Messe ist eben nicht nur Umschlagplatz für Waren, sondern auch ein Ort der Kommunikation. Deshalb wird es für Stiftungen, Verbände, Kunstversicherer zunehmend wichtig, bei solchen Anlässen Flagge zu zeigen. Das kann dann zu so schönen Begegnungen führen wie bei der Warschauer Kunststiftung Foksal, die eine aufblasbare Figur von Pawel Althamer über ihren Stellwänden schweben lässt: mit Blick auf den Stand des DAAD-Künstlerprogramms, das den polnischen documenta-Künstler wiederum als Stipendiaten für das kommende Jahr ankündigt.

Diese ebenso zufälligen wie beabsichtigten Cross-overs charakterisieren die Kunstmesse in diesem Jahr. Mehr denn je haben sich Galerien zu internationalen Gemeinschaftsständen gefunden - häufig von den Berliner Kollegen ins Boot geholt, um die Weltläufigkeit und damit Attraktivität ihrer Präsentation zu steigern. Das "art forum" hat damit einen Schritt nach vorne getan: Der Anteil ausländischer Galerien wuchs auf 60 Prozent, die Zahl der Kooperationen stieg auf 23. Durch den Zusammenschluss einzelner Kojen kommt eine neue Großzügigkeit in das sonst so dicht gedrängte Messegeschehen - dass der Besucher zeitweilig sogar das Geschäft darüber vergisst. Kein Wunder, denn etwa die beiden Zürcher Galerien "Mai 36" und Bob van Osouw legen gemeinsam mit ihrer Wiener Kollegin von "nächst St. Stephan" mit Werken von Stephan Balkenhol, Julian Opie und Jessica Stockholder eine Ausstellung hin, die Museumsqualitäten hat.

Die große Kunstwelt im Kleinen

Auch bei Martin Klosterfelde (Berlin) und Anton Kern (New York), dem Duo neugerriemschneider (Berlin) und Daniel Buchholz (Köln), der Kombination von Schipper & Krome (Berlin) mit Hauser & Wirth & Presenhuber (Zürich) fügen sich die Konzepte so deckungsgleich zueinander, dass man sich nur fragen kann, warum niemand früher auf die Idee gekommen ist, gemeinsame Künstler gemeinsam auszustellen. Zugleich verrät das einiges über die Globalisierung der Kunst und die zunehmend internationale Vernetzung gerade der jungen Hauptstadt-Galeristen, die fast ein Viertel der "art forum"-Teilnehmer stellen.

Der Ehrgeiz steht den Berlinern mit ihren Kojen quasi ins Gesicht geschrieben, denn sie müssen nicht nur ihre eigenes Programm, sondern den Messeplatz Berlin insgesamt vertreten. Entsprechend wird aufgefahren: Die Koje von "Contemporary Fine Arts" bevölkern drastisch zugerichtete Schaufensterpuppen von Jonathan Meese. Bei Barbara Thumm lockt ein kurioses Arrangement; dort pflanzte das Künstlergespann "(e.)Twin Gabriel" eine Zimmerpalme inmitten von Pizzaschachteln. Thilo Wermke und Alexander Schröder wiederum wuchteten eine monströse Hundefalle von Andreas Slominski auf ihren Stand.

Ansonsten sucht man hier die auftrumpfende Geste vergebens; die bei den marktbeherrschenden Kunstmessen in Basel und Köln übliche Attitüde der Großgaleristen mit gewaltigen Formaten und gigantischen Installationen fehlt hier fast völlig. Das "art forum" ist die bescheidenere Schwester. Sie hat sich auf allerjüngste Kunst eingeschworen, an der häufig auch nur allerjüngste Sammler interessiert sind, denen das große Geld meist noch fehlt.

Diese Berliner Besonderheit macht sich unter anderem an der vielen Fotografie mit ihren günstigeren Angeboten bemerkbar (ab 500 Mark). Die zweitweilig beinahe abgemeldete Malerei ist zwar längst wieder zurückgekehrt, doch nun muss sie zumindest auf den Kunstmessen die Fotografie als gleichberechtigte Gattung akzeptieren. Dieser neue Status lässt sich nicht zuletzt festmachen an einem der großzügigsten Stände - der Gemeinschaftskoje der drei Fotohändler Banning (New York), Kicken (Berlin) und Photology (Mailand). Dennoch bleibt die Fotografie weiterhin das Medium für Entdeckungen im Kleinen. Springer & Winkler (Berlin) stöberten das private Bildarchiv eines ehemaligen Schweizer Polizisten auf, der über vierzig Jahre seiner Karriere die kuriosesten Verkehrsunfälle fotografierte. Die erstmalig teilnehmende mexikanische Galerie OMR brachte Arbeiten der Chiappa-Indianerin Maruch Sántiz-Gómez mit, die zwar längst kein Geheimtipp mehr ist, aber mit ihrem Foto-Zyklus über Träume und Stammesweisheiten einen überraschenden neuen Weg eingeschlagen hat. Fehlen darf natürlich nicht der Darling der Kunstfotografie und gegenwärtige Anwärter auf den Turner-Preis Wolfgang Tillmans, der bei neugerriemschneider / Buchholz eine zwölf Meter lange Kojenwand mit einer Komposition aus Snapshots bestückte, die ganz oder gar nicht für 118 000 Mark zu erwerben ist. Erstaunlicherweise machen sich die vier Kandidaten für den Förderpreis der Neuen Nationalgalerie, deren Ausstellung morgen im Hamburger Bahnhof eröffnet wird, kaum im Messeangebot bemerkbar. Der Markt gehorcht hier offensichtlich noch anderen Gesetzen, als es sich die Initiatoren des Förderpreises mit ihrer zeitgleichen Terminierung ausgemalt hatten.

In seinem fünften Jahr präsentiert sich das "art forum" großzügiger, jünger, internationaler denn je. Die zunehmende Beteiligung osteuropäischer Galerien lässt auf eine Öffnung des Marktes gen Osten hoffen. Der amerikanische Kunsthandel bleibt dem "art forum" ohnehin geneigt. Die Berliner Kunstmesse hat damit ihre Mitte gefunden.

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