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Marianna Gartners gemalte "Mythologische Szene" (2010).

© Galerie Haas

Art Forum: Berlin, verbaselt

Das Art Forum hat ein neues Gesicht. Es ist arrivierter, weniger experimentell und nähert sich der großen Schweizer Messe an.

Was für ein kaltes Jahrzehnt. Es klirrt geradezu bei Neugerriemschneider, in deren Koje ein Gartentisch mit zwei Bänken steht: alles aus spiegelndem Edelstahl und so glatt, dass jeder abzurutschen droht, der das Ensemble besitzen möchte. Ein Objekt des Künstlers Rirkrit Tiravanija (Preis auf Anfrage), eine Interpretation der Möbel von Enzo Mari – und das Entrée zur Halle 19 der diesjährigen Berliner Kunstmesse.

Knapp 60 Galerien sind in diesem Teil des Art Forums untergebracht, die andere Hälfte wartet im gegenüberliegenden Saal. Wer beide passiert hat, dem wird schnell klar, dass bei der Berliner Kunstmesse wenig beim Alten geblieben ist. Eva-Maria Häusler und Peter Vetsch haben umgebaut. Wichtigste Neuerung der beiden Art-Forum-Organisatoren: Die dritte Halle, in der bislang die jungen, aufstrebenden Galerien untergebracht waren, gibt es nicht mehr. Der Appendix hat sich erledigt, auch weil die Teilnehmer nach der Messe vom vergangenen Herbst unzufrieden waren. Mancher Sammler hat es erst gar nicht bis in diesen letzten Raum geschafft.

Nun mischen sich die beiden Sektionen des Art Forums. Arrivierten Galerien wie Jürgen Becker aus Hamburg, Bärbel Grässlin (Frankfurt) oder Jörg Johnen (Berlin) stehen Kojen wie der Leipziger „Laden fuer nichts“ oder Newman Popiashvili aus New York gegenüber, die man zuvor im abgelegenen „Sektor Focus“ gefunden hätte. Dazu gehört auch Tanja Wagner, die ihre Galerie überhaupt erst vor zwei Wochen nahe der Potsdamer Straße eröffnet hat.

Dass nicht alle Teilnehmer die strengen Regularien der Messe erfüllen, die unter anderem eine mehrjährige, beständige Galerienarbeit voraussetzen, gründet in der nächsten Innovation: Jeder Zugelassene im „Sektor Focus“ darf nun eine zweite Galerie einladen, deren Programm er für jung, überraschend und wichtig hält. Das erleichtert zum einen der Jury die Arbeit, die auch in diesem Jahr über 300 Bewerbungen für das Art Forum sichten musste und das Ausspähen neuester Positionen nun anderen überlässt. Vor allem aber dokumentiert es nach außen, was Häusler und Vetsch seit ihrem Einstieg in die Messe 2009 immer wieder betonen – dass sie nicht künstlerische Leiter, sondern Motoren im Hintergrund sind. Um eine Messe am Laufen zu halten, die nach wie vor unter starkem Erwartungsdruck steht.

Das große Geld wie auf der Art Basel oder der Frieze in London wird auf dem Berliner Handelsplatz nach wie vor nicht umgesetzt. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – rüstet das Art Forum noch einmal nach. Georg Baselitz, Imi Knoebel, Jürgen Klauke, Sigmar Polke: Wer immer die großen Namen der achtziger Jahre in seinem Programm hat, der bringt sie mit. Die Galerie Bo Bjerggaard aus Kopenhagen bietet zwei große Polke-Gouachen von 2006 (je 220 000 Euro) und ein Gemälde von Baselitz an, das 375 000 Euro kosten soll. Der Berliner Galerist Clemens Fahnemann hat einen ganzen Knoebel-Raum in die Halle verfrachtet und rechnet mit 240 000 Euro. Das zweite Exponat in seiner Koje, eine atelierfrische Serie von Knoebels Farbfeldern auf Aluminium, hat er bereits während der Preview für geladene Gäste verkauft. Und auch wenn der Preis dafür weit niedriger ausfällt als für Knoebels große Installation, machen solche Summen klar, wie sehr die Messe ihr Antlitz verändert hat: Aus dem Art Forum mit seinem Augenmerk für Newcomer, die es zu entdecken galt, ist ein „Klein-Basel“ geworden.

Das muss kein Nachteil sein. Wer mit Häusler und Vetsch zwei ehemalige Mitarbeiter der Art Basel engagiert, der rechnet mit solchen Veränderungen. An die Stelle unabgesicherter Positionen treten nun Arbeiten wie jene frühe Skulptur von Sylvie Fleury, die die Galerie Christine König an ihrem Stand zeigt. Die Arbeit „Jackson und Patrick Cox“ zitiert die gestische Malerei Pollocks mittels Nagellack in den Saisonfarben von 1994. Eine wunderbare Arbeit, von der Wiener Galeristin auf 30 000 Euro taxiert. Fast das Doppelte kostet ein Gemälde von Karin Kneffel – ein Wohnzimmerdetail im extremen Querformat. Preiswerter kauft man bei den „Sektor Focus“-Galerien, doch auch hier klettern die Preise häufiger in den fünfstelligen Bereich, wie im Fall der Berliner Kunstagenten, die zwei Assemblagen des aufstrebenden Künstlers Thorsten Brinkmann dabei haben.

So viel Qualität auf internationalem Niveau lässt fast vergessen, dass sich die Messe zugunsten der Neuverteilung auf zwei Hallen verkleinert hat. Über 20 Kojen mussten eingespart werden. Gleichzeitig drängen wichtige Galerien wie Lambert aus Paris mit zentralen Künstlern wie Douglas Gordon und Arbeiten für 75 000 Euro je Blatt auf den Berliner Markt. Dem 15. Art Forum bekommt das gut: In den schräg gestellten Kojen und den luftigen Gängen fühlt man sich mehr an eine sorgsam kuratierte Ausstellung denn einen Handelsplatz erinnert. Dennoch wird einem am Ende des Parcours’ auch schmerzlich bewusst, was dem Art Forum mit dieser Nivellierung verloren geht: der Bezug zu Berlin.

Für viele Galerien, die die Stadt als Kunstadresse in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt erst attraktiv gemacht haben, ist nun kein Platz mehr. Andere wie Max Hetzler oder Sprüth Magers, die zu den global playern der Szene zählen, fehlen in diesem Jahr. Ohne sie aber läuft das Art Forum Gefahr, zum Satelliten zu werden. Ein autonomer Körper im Westen der Stadt ohne Verbindung zu jenen Orten, an denen sich die Kunst an den übrigen Wochen des Jahres machtvoll präsentiert. Was aber spricht dagegen, im nächsten Jahr wieder ein Stück genauer auf Berlin zu schauen? Mit einem Modell, das die etablierten Galerien in ihren eigenen Räume in den Fokus nimmt und die Kunstmesse auf die Stadt ausdehnt. Das wäre dann wirklich revolutionär.

Art Forum Berlin, 7. - 10.10., Messegelände, Eingang Halle 19, 12-19 Uhr, Tagesticket: 18 Euro, www.art-forum-berlin.de

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