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Arthena Foundation in Düsseldorf: Falsche Felle

In unserer Sommerserie stellen wir lohnende Kunst-Ziele in Deutschland vor. Diesmal: Die Düsseldorfer Arthena Foundation nimmt sich in ihrer aktuellen Schau die Nachbarschaft vor.

Alle schauen nach Berlin – wir meistens auch. Dabei finden sich abseits der Metropole viele sehenswerte Ausstellungen und Kunstprojekte. Manche davon stehen als Solitäre für sich, andere krempeln das Bild einer ganzen Stadt um. In unserer Sommerserie stellen wir lohnende Ziele in Deutschland vor.

Schiffe fahren hier nicht mehr. Im Hafenwasser dümpelt bloß eine kleine Plattform mit den Umrissen einer eckigen Insel. Drei Graugänse haben den Ort besetzt und wirken entspannter als die meisten der übrigen Zweibeiner, die sich durch das Areal bewegen. Vom rauen Charme der Industrie, die ein Jahrhundert lang den Düsseldorfer Hafen prägte, ist wenig geblieben. An ihre Stelle treten die Dienstleister – sauber, eifrig, medial verdrahtet. Und mit ihnen die glänzenden Fassaden einer globalen Investorenarchitektur. Fast wirkt es, als duckten sich die wenigen historischen Gebäude im Schatten ihrer gläsernen Nachbarn weg. Vielleicht verweigern sie sich aber auch dem Wettstreit von Größe, Farb- und Materialvielfalt. Denn zusammen ergibt das eine grausam visuelle Dissonanz.

Julia Höner hat dafür gerade keinen Blick. Sie steht am Hafenbecken und schaut etwas zweifelnd zu den Gänsen hinüber. „Ob wir das jemals wieder sauber bekommen?“, fragt sich die Kuratorin von Kai 10 und weiß im selben Moment, dass dies der falsche Ansatz ist. Die Tiere können ja nicht wissen, dass sie auf einer schwimmenden Skulptur von Katja Strunz sitzen. Sie improvisieren nur und nehmen sich das „Visionäre Fragment für Antoine Cournot“ (2014) aus Mangel an Alternativen.

"Backdoor Fantasies" in der Arthena Foundation

Außenskulpturen gibt es mehrere im Hafen, die eigentliche Ausstellung aber findet in den Räumen der Arthena Foundation statt. Ein flacher Bau in Grau, der hier schon war, bevor ein Architekt wie Frank Gehry mit seinen expressiven Entwürfen den Blick überhaupt auf den Ort lenkte. An der Tür steht „Kai 10“, etwas höher klebt das Klingelschild von Günther Uecker, der hier seit Jahrzehnten in den oberen Stockwerken seine Ateliers hat. Man ahnt schon, dass es in diesem Gebäude um etwas anderes als die reine Gewinnmaximierung geht. Tatsächlich geschieht im Erdgeschoss sogar das Gegenteil: Die Unternehmerin und Gründerin von Kai 10, Monika Schnetkamp, gibt eine Menge Geld für den imposanten Ausstellungsraum.

2008 hat sie die Arthena Foundation gegründet und noch im selben Jahr die Halle im Hafen herrichten lassen. Aber bitte nicht für die eigene Sammlung, in der Künstler wie Thomas Zipp, Hans Peter Feldmann, Markus Selg oder Alexandra Hopf vertreten sind. Sondern für kuratierte Ausstellungen wie aktuell „Backdoor Fantasies“, die im Rahmen der Düsseldorfer Quadriennale eröffnet hat und zeitgenössische Künstler auffordert, hinter jede Art von Fassade zu schauen.

Stechendes Blau von Peter Reuter

Sie tun das mit vollem Körpereinsatz wie Anna K.E., Jahrgang 1986, die zur Eröffnung hinter eigenwillig modernistisch dekorierten Paravents Teigfladen gebacken hat. Oder verspielt wie die Berliner Künstlerin Isa Melsheimer mit einer surrealen Stadt aus Glas, die sich hinter einem zarten Vorhang verbirgt. Und dann gibt es die Analytiker. Etwa den 1942 geborenen Hans Peter Reuter, der in stechend blauen Gemälden oder Skulpturen den Umraum auslotet. Seine Kachelbilder suggerieren aseptische Innenräume, könnten zugleich aber auch ein Agglomerat von Hochhäusern sein.

Individualität verspricht ihnen der große Webrahmen von Michael Beutler, dessen Produktion etwas aus dem Ruder gelaufen scheint. Man könnte Riesen mit den hier aufgerollten Teppichen ausstatten – oder Gebäude verhüllen. Das ganze Team von Kai 10 hat vor der Eröffnung mitgewebt und Beutlers Installation ausufern lassen. Für einen ähnlichen Effekt sorgt die Auftragsarbeit des 1930 geborenen Düsseldorfer Künstlers Günter Weseler – eine echte Wiederentdeckung –, der atmende Organismen aus falschem Fell an die Wand heftet. Als fiese Tierchen konterkarieren sie die ökonomische Effizienz all jener Gebäude, die im Hafen gewachsen sind.

Ein Knall zwischen Utopie und Realität

Ein Stachel im Fleisch der vorlauten Eventarchitektur. Interventionen an einem Ort, der keine öffentlichen Plätze mehr kennt: Es sei denn, man nutzt das gastronomische Angebot im Medienhafen und bezahlt für seinen Aufenthalt. Wie es hier noch in den achtziger Jahren aussah, dokumentieren die Fotografien der ehemaligen Becher-Studentin Tata Ronkholz in unbestechlichem Schwarz-Weiß. Leer, karg und offen für jede Vision. Was daraus geworden ist, zeigt ein Blick durchs Fenster, der an den „Flossis“ hängen bleibt – bunten Kunststofffiguren auf der gegenüberliegenden Fassade eines Speicherhauses, die man am liebsten sofort abklauben würde, um dem Gebäude ein wenig Würde zurückzugeben.

Es scheint funktionieren, was sich die Kuratoren – neben Julia Höner und Ludwig Seyfarth der erfahrene Museumsmann Zdenek Felix – ausgedacht haben. Und worin sie ihre Mäzenatin unterstützt. Es knallt zwischen Utopie und Realität, wenn Ludger Gerdes’ Neonschrift „Angst“ (1989) verbreitet oder Jan Hoeft eine Soundarbeit im Medienhafen aufbaut, aus der es tönt, man müsse mal etwas Verrücktes tun. Man kann zum Beispiel im nahen Marriott Hotel einen Aufzug in den achten Stock nehmen und sich die „Los Angeles Models“ von Jean-Pascal Flavien ansehen. Der Künstler bewahrt hier seine architektonischen Modelle auf. Keine Investorenarchitektur, sondern Visionen in Häuserform. Die meisten sind gar nicht zu realisieren, sondern Facetten eines sozialen Skulpturbegriffs.

Auch das passt zur Adresse, die sich bei aller Präzision des Konzepts als vitaler Ausstellungsort erweist, den Vorträge, Workshops und die Arbeit mit Kindern beleben. Ohne dass man hier in hektischer Betriebsamkeit leerläuft.

Kai 10, Kaistr. 10; bis 10. 8. Do–So 11–18 Uhr, Eintritt frei, www.kaistrasse10.de

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