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Kultur: Asche, Erde, frisches Holz

Norwegischer Sänger der Elemente: „Gesammelte Gedichte“ von Olav H. Hauge.

In Dichterforen feiert er seine ewige Wiederkehr, der Streit zwischen verständlicher und unverständlicher Lyrik. Man könnte ihn mit einem Buchtitel des polnischen Poeten Tadeusz Rozewicz kommentieren: „Letztendlich ist die verständliche Lyrik unverständlich“. Oder die Debatten toben lassen und zu den Gedichten des Norwegers Olav H. Hauge greifen. Hauge, 1908 in Ulvik am Hardangerfjord geboren und 1994 dort gestorben, bewegt sich jenseits solcher Positionen.

In seinen Gedichten bezieht Hauge sich häufig auf die Mythen der „Edda“. „Die Tradition“, so vermerkt er in seinem Tagebuch, „ist ein starker Fluss, der die Baumstämme vieler tragen kann. Es nützt nichts, das Holz auf der eigenen Pisse zu flößen, es kommt nicht weit.“ Aber Hauge sah auch, dass Formen sich erschöpfen. Er las viel (Quasimodo, Guillevic, Whitman, Hardy), übersetzte (Hölderlin, Trakl, Brecht und Celan), und obwohl er abgeschieden lebte, war er mit den geistigen Strömungen seiner Zeit vertraut. Was er an der modernen Lyrik nicht mochte, war ihre Hybris. Hauge störte es, dass das moderne Gedicht mit Bildern überfrachtet war. Witzigerweise rief er in seinem Tagebuch ausgerechnet Aristoteles als Kronzeugen zu Hilfe, der davor gewarnt hatte, zu groß zu bauen, denn „eine Stadt soll nicht größer sein, als man von einem Hügelrücken aus überblicken kann“. Er zog daraus den Schluss: „Vereinfache, versuche den Kern zu fassen, es konkret zu machen.“

Bei Hauge lassen Sensen, Sackwagen, Aschekästen, Föhren, Tiergräber oder bebende Dielen den Augenblick leuchten. Der Dingdichter Hauge ist da in seiner Konkretheit oft verblüffend modern. Eine Referenz an die Dichterin Emily Dickinson endet bei ihm mit dem Credo: „Ein gutes Gedicht / soll riechen – nach Tee / oder nach roher Erde und frischgespaltenem Holz.“ Den Ekstatiker in sich unterdrückte er. Hauge wusste genau: „Die Geister zu wecken ist gefährlich, das habe ich viele Male erfahren.“ Viermal wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. Dass er eingesperrt und gefesselt war, machte ihm indes nichts aus. In diesen Jahren, so Hauge, habe er „wirklich ein Geistesleben geführt“.

Hauges Poesie ist stark verknüpft mit seinen Alltagserfahrungen. Er war eines von sieben Kindern, drei starben früh, oft war er krank. Dann zog er sich in sich selbst zurück. Irgendwann begann er zu dichten und mit 16 Tagebuch zu schreiben. Im Laufe seines Lebens wuchs es auf 4000 Seiten an, und 2000 erschien es unter dem Titel „Dagbok 1924 – 1994“ in Norwegen. Manche halten es für sein Hauptwerk. Aber Hauge war Dichter. Und er war, als typischer Einzelgänger, entsprechend sensibel für alles, was um ihn herum geschah. Zwar blieb er ohne Schulabschluss, aber weil er etwas arbeiten musste, meldete sein Vater ihn zu einem Lehrgang in der örtlichen Gartenbauschule an. Bis er über 70 war, lebte Hauge vom Obstbau: In einem Film des norwegischen Fernsehens sieht man ihn still zwischen Apfelbäumen umhergehen.

1946 war, fast unbeachtet, sein erster Gedichtband erschienen. Erst Ende der 60er Jahre, mit kurzen, Natur und Handarbeit feiernden Gedichten, wurde er einem größeren Publikum bekannt. Die Einflüsse der fernöstlichen Poesie auf sein Schreiben nahmen zu. Das Bild des Pfeiles kommt in mehreren Gedichten vor, um gute Schützen geht es gleichermaßen wie um gute Äpfel. Man müsse, heißt es einmal, immer ein wenig danebenzielen, mit Abstand und Wind rechnen. Hauges Gedichte werden kürzer und intensiver, und 1966 erscheint der Band „Tropfen im Ostwind“. Die Kritik zieht Parallelen zum anglo-amerikanischen Imagismus. Aber auch China und Japan interessierten ihn: „Lies Lu Chi und schreib ein Gedicht. / Er sagt nicht, wie es werden soll. / Viele haben vor ihm eine Eiche gemalt. / Trotzdem malte Munch eine Eiche.“

Hat einer was zu sagen, findet es schon seine Form, glaubte Hauge. Über Whitman und Lawrence notierte er: „Diejenigen Dichter arbeiteten am besten, die nicht so viel über Formfragen grübelten, sie sind erfüllt von dem Leben um sie herum, sahen etwas und hatten immer etwas zu schreiben. Das Leben schwächte sie nicht, es war immer neu zu nehmen.“

Spät im Leben fand er sein Glück mit einem anderen Menschen. Die Künstlerin Bodil Cappelen hatte ihm, entzückt von seinen Gedichten, einen Brief geschrieben. Hauge war 67 Jahre alt. Wenige Jahre später heirateten die beiden, gaben sogar ein illustriertes „ABC“ mit Versen für Kinder heraus. Mit Bodil Cappelen, die heute seinen Nachlass verwaltet, nahm er sogar Einladungen zu Lesungen an. Die in der Edition Rugerup von Klaus Anders herausgegebene, übersetzte und kommentierte Auswahl aus Hauges Werk schließt eine Lücke in der deutschen Rezeption europäischer Gegenwartslyrik. Und wer weiß, vielleicht wagt sich ja demnächst auch ein deutschsprachiger Verlag an Hauges fulminante Tagebücher. Volker Sielaff

Olav H. Hauge:

Gesammelte

Gedichte.

Edition Rugerup, Hörby 2012.

336 Seiten, 24,90 €.

Volker Sielaff

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