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Atheismus: Beten? Ohgottogott

Christopher Hitchens ist der prominenteste Gottverneiner der anglofonen Welt. Nun ist er schwer erkrankt und auf allen Kanälen dreht es sich um die Frage, ob man für ihn beten sollte.

Wie reagiert ein todkranker Atheist, wenn für ihn gebetet wird? „Falls ihr euch dann besser fühlt, habt ihr meinen Segen“, erklärte Christopher Hitchens in einem Interview mit CNN. Hitchens ist spätestens seit der Veröffentlichung seines Bestellers „Der Herr ist kein Hirte – Wie Religion die Welt vergiftet“ (God Is Not Great: How Religion Poisons Everything) der prominenteste Gottverneiner der anglofonen Welt. Vor kurzem wurde bei ihm Speiseröhrenkrebs in fortgeschrittenem Stadium festgestellt. Das teilte der 61-Jährige in einem knappen Eintrag auf seinem Blog für das Magazin „Vanity Fair“ mit. Er musste die Lesetournee für seine eben erschienenen Memoiren „Hitch 22“ abbrechen, um sich einer Chemotherapie zu unterziehen. Seither tobt auf allen Kanälen eine bizarre Debatte: Sollen wir für Christopher Hitchens beten? Besonders auf Internetforen wird heftig gestritten, von beliefnet.org bis zur Website der ebenso seriösen wie säkularen Zeitschrift „The Atlantic Monthly“, zu deren Mitarbeitern der Schriftsteller zählt.

Selbst diejenigen, die sich zum Beten durchgerungen haben, sind sich nicht darüber einig, worum sie den Allmächtigen konkret bitten sollen. Schlicht um Hitchens’ Heilung? Darum, dass der militante „Antitheist“, wie er sich nennt, im Angesicht des Todes vielleicht doch noch zu göttlicher Vernunft gebracht wird? Auf faithfulnews.com heißt es: „Ihre Bekehrung könnte für das moderne Christentum dieselbe Bedeutung haben wie jene von Paulus fürs frühe Christentum.“

Was ein etwaiges „Gott sei mir gnädig“ auf dem Sterbebett angeht, winkt Hitchens allerdings ab. Seinem „Atlantic“-Kollegen Jeffrey Goldberg erklärte er in einem Video-Interview: „Das Wesen, das eine solche Bemerkung macht, wäre eine fantasierende, von Grauen erfüllte Person, deren Krebs das Gehirn angegriffen hat (…), aber niemand, der als ich selber erkennbar ist.“

Nur: Wer wäre dieses Ich? Immerhin hat sich der gebürtige Brite im Lauf seiner 40-jährigen Karriere als Journalist und Krisengebietsreporter vom Trotzkisten zum Neokonservativen gewandelt. Er befürwortete lautstark George W. Bushs Irak-Invasion, und in Washingtons politisch-publizistischen Kreisen, in denen sich Hitchens wie ein Star bewegt, sind seine Polemiken gefürchtet – nicht nur von Demokraten, sondern auch von Republikanern.

Die Frage „Warum ich?“, die ihn selber nach seiner Diagnose umtrieb, hat sich Hitchens bereits wieder aus dem Kopf geschlagen. Als überzeugter Erdling brauche er sich nur die Gegenfrage zu stellen: Warum nicht? In der September-Ausgabe von „Vanity Fair“schildert Hitchens seine „Deportation, die mich aus dem Land der Gesunden über die krasse Grenze ins Land der Krankheit geführt hat“. Er gibt sich weder resigniert noch weinerlich, vielmehr gewohnt sarkastisch: „Was für eine Art von ,Rennen’ das Leben auch sein mag, ich bin sehr plötzlich zu einem Finalisten geworden.“

Wie auch immer: Eine Gruppe der Debattanten hat auf Facebook für den 20. September zum „Everyone Pray for Hitchens Day“ aufgerufen.

Sascha Verna

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