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Kultur: Auch ich!

Doping und Literaturbetrieb – das Geständnis eines Schriftstellers im Selbstverhör / Von Thomas Brussig

Herr Brussig, unlängst haben die Radsport-Profis Aldag und Zabel zugegeben, gedopt zu haben. Dieses Geständnis hat Sie nicht unberührt gelassen.

Allerdings. Denn auch ich habe über Jahre unerlaubte Substanzen genommen. In den Jahren 1992 bis 94, ein paar Monate im Jahre 1999 sowie 2001/2002 habe ich unter Doping geschrieben.

Bis heute haben Sie das immer bestritten.

Darunter habe ich, das möge man mir glauben oder auch nicht, fürchterlich gelitten. Ich habe jahrelang die Öffentlichkeit, meine Familie und meinen Lektor belogen. Es gibt dafür keine Entschuldigung. Was mir ein besonders schlechtes Gewissen bereitet, ist, dass „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ an den Schulen durchgenommen wird, sogar Prüfungsstoff ist. Angesichts der Umstände, unter denen dieses Buch geschrieben wurde, hätte es nie Eingang in die Klassenzimmer finden dürfen.

Womit haben Sie gedopt?

Alles, was mir in die Finger kam. Ich hab mit Koffein und Vitaminen angefangen, habe es mit Höhen- und Bibliotheksluft versucht, aber das brachte nicht viel. Ich hab dann wild durcheinandergedopt: Anabole Steroide, Asthmasprays, später Epo, was weiß ich. Pillen, Cocktails, Spritzen, Sprays – ich wusste oft selbst nicht, was ich nehme.

Doping unter Schriftstellern – sind Sie ein Einzelfall?

Ich will niemanden verdächtigen oder beschuldigen. Aber es gibt Momente, in denen ich glaube, dass die ganze Literaturszene gedopt ist. Da lädt sich ein Daniel Kehlmann Gauß und Humboldt auf, und keiner fragt da mal nach. Auch darüber, dass ein fast achtzigjähriger Grass, ein fast achtzigjähriger Walser noch immer aktiv sind, scheint sich niemand zu wundern. Die schreiben zum Teil noch richtig dicke Wälzer, stehen damit ganz oben auf den Bestsellerlisten, kriegen die großartigsten Verrisse, und niemand findet etwas dabei. Es scheint keiner so genau wissen zu wollen. Da hat sich eine Kultur des Nicht-Hinterfragens etabliert, in der sich alle wohlfühlen. Die Leser wollen tolle Bücher, die Verlage hohe Auflagen, die Agenten horrende Abschlüsse, die Kritiker Erregungsobjekte und die Ehefrauen Business-Class-Flüge. Als Schriftsteller ist man da total in der Zwickmühle. Und da die Kontrollen lasch sind, ist die Versuchung groß.

Nun sind aber erste Schritte geplant.

Ach, das ist doch alles halbherzig. Urinkontrollen während der Buchmesse, das ist doch lachhaft. Da sind die Bücher doch längst geschrieben. Unangemeldete Kontrollen gibt’s so gut wie nie. Grass lebt monatelang in Dänemark, Birgit Vanderbeke in Frankreich, Ingo Schulze geht eben mal für ein ganzes Jahr nach Italien, Juli Zeh taucht immer wieder auf den Balkan ab, und Christian Kracht ist mal in Thailand, mal in Sri Lanka, mal in Nepal. Radek Knapp verschwindet für Monate nach Polen. Daniel Kehlmann war letztens wochenlang in Kasachstan. Und bei einem Christoph Ransmayr weiß man eh nie, wo er ist. Ich will den Kolleginnen und Kollegen ja nichts unterstellen. Was ich sagen will: Es ist überhaupt kein Problem, den Kontrollen zu entgehen.

Wie ist denn die Situation im Nachwuchsbereich?

Hoffnungslos. Schauen Sie nach Klagenfurt. Vor zwei Jahren hat Uwe Tellkamp gewonnen. Der Mann ist Arzt. Ich frage mich, wie deutlich wollen denn die Juroren noch vorgeführt bekommen, was da wirklich läuft? Am Leipziger Literaturinstitut wird ganz offen darüber diskutiert, auch Pharmaziekurse anzubieten. Und Leute wie Trojanow und Kaminer, der eine Bulgare, der andere Russe, dürften beste Kontakte zu den Netzwerken der osteuropäischen Dopingschmieden haben. Kaminer hat seit 1998 sieben Bestseller geschrieben! Da kann mir doch keiner was erzählen. Ihm und seinem Lesebühnenkumpel Jakob Hein, der übrigens Arzt ist und sozusagen nebenberuflich drei literarische Bestseller geschrieben hat, müsst man mal in den Kofferraum schauen. Immerhin sind die Lesebühnen so eine Art Durchlauferhitzer für den literarischen Nachwuchs Berlins.

Was ist nötig, um den Dopingsumpf in der Gegenwartsliteratur trockenzulegen?

Jeder Autor muss verpflichtet werden, den Beginn der Arbeit an einem Buch anzuzeigen und seinen jeweiligen Aufenthaltsort, so dass jederzeit unangemeldet Kontrollen möglich sind. Auf die Art kann kein Buch mehr in aller Heimlichkeit geschrieben werden.

Eine Agentur, die lückenlos die Entstehung von Literatur überwacht - ist das überhaupt praktikabel?

Warum nicht? Ralf Rothmann sitzt am Rande Berlins und bewegt sich nicht weg, und er weiß heute schon, was er als Nächstes und als Übernächstes und als Überübernächstes schreibt. Wir brauchen diese lückenlose Transparenz, und das Beispiel Rothmann zeigt, dass sie machbar ist. Vor allem müssen wir uns von diesem Wahnsinn der Hochleistungsliteratur befreien. Wir müssen es aushalten können, ein paar Jahre auf der Spiegel-Bestsellerliste oder der SWR-Bestenliste nur unter ferner liefen aufzutauchen. Da haben die Kritiker eine gewisse Verantwortung, und der sind sie bis jetzt nur unzureichend nachgekommen. Erst penetrant nach dem Wenderoman, dem Berlinroman zu rufen, und dann entrüstet sein, wenn Doping offenbar wird, das geht nicht. Das ist doch bigott.

Es gibt Vorschläge, dass sich die Verlage von überführten Autoren trennen und Bücher, die unter Doping geschrieben wurden, sofort vom Markt nehmen sollten.

Klar, wer will schon Bücher lesen, bei denen nachgeholfen wurde? Aber die Verlage hängen da auch mit drin. Wenn du keinen Knaller schreibst, drucken sie dein Buch nicht. Wie du den Knaller schreibst, ist allein dein Problem. Also dopst du, weil du sonst dem Druck nicht gewachsen bist. Und hinterher will dein Verlag sogar deine Unterschrift, dass du nicht gedopt warst. So ist der Schwarze Peter bei dir, und die Verlage brüsten sich als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf. Das ist ganz finster.

Es gibt auch Stimmen, die sprechen von Legalisierung, zum Beispiel in der Lyrik...

...weil angeblich das Publikum überhaupt keine Probleme mit gedopter Lyrik hat, ja Doping gleichsam als lyrikinhärent betrachtet. Aber wo sind die Grenzen? Nehmen wir Hilbig, Tellkamp, Grünbein, die alle zweigleisig fahren: Lyrik und Prosa verschmelzen in ein und demselben Text. Da gibt es stilistische Grauzonen. Und wenn jeder gedopte Autor, was rein rechtlich möglich ist, sein Werk für Lyrik erklärt, kämen wir keinen Schritt weiter.

Schreibt man gedopt wirklich besser?

Ja, ganz eindeutig. Es gab mal eine Untersuchung mit Hildesheimer Creative Writing Studenten, die ein und dieselbe Szene jeweils mit und ohne Doping schreiben sollten. Die gedopte Szene war viel plastischer und funkelnder. Der aktive Wortschatz steigt um bis zu fünfzehn Prozent, die Empfindsamkeit um bis zu dreißig Prozent. Aber auch was Pointierung und die Trefferquote bei Analogien angeht, verschafft Doping Vorteile. Lediglich in der Dialoggestaltung ist Doping wirkungslos, zum Teil sogar kontraproduktiv.

Man sollte sich also mal die Autoren genauer anschauen, die gänzlich auf Dialoge verzichten.

Klar, auf die Idee hätte man schon längst kommen können, denn das Phänomen ist seit 1997 bekannt. Aber ich sagte schon: Es hat sich eine Kultur des Nichtwissenwollens etabliert.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie geht es Ihnen nach Ihrem Geständnis?

Ich fühle mich sehr erleichtert, ja, wie befreit. Natürlich weiß ich, daß ich viele, viele Menschen enttäuscht habe, denen ich über Jahre den „sauberen Schriftsteller“ vorgegaukelt habe. Über meine Zukunft kann ich momentan wenig sagen. Natürlich werde ich alle meine Preise zurückgeben müssen, und ich werde für mindestens fünf Jahre gesperrt. Während dieser Zeit könnte ich als eine Art Kontaktmann fungieren für Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die auch aus diesem Dopingwahnsinn aussteigen wollen. Ich habe in den letzten Stunden auch viel Zuspruch und Solidarität erfahren, gerade aus Kollegenkreisen, und das macht mir Mut.

Thomas Brussig , geb. 1965, lebt als Schriftsteller („Helden wie wir“, „Wie es leuchtet“, „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“) in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Berliner Orgie“. In dem Theaterstück „Leben bis Männer“ setzt er sich mit dem Profifußball auseinander.

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