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Kultur: Auf Augenhöhe

Der Erste, der "Herz" auf "Schmerz" reimte, war ein Genie, zumindest ein lyrisches. Die folgenden Fünfzigtausend waren Nachplapperer.

Der Erste, der "Herz" auf "Schmerz" reimte, war ein Genie, zumindest ein lyrisches. Die folgenden Fünfzigtausend waren Nachplapperer. Nicht anders geht es mit politischen Floskeln und Redensarten, die anfangs einen frischen lebendigen und sprachbelebenden Eindruck machen, so als hätte sich jemand etwas dabei gedacht und auch noch etwas Sinnlich-Anschauliches. Bald aber hängen sie einem zur Halskrause heraus. Zwar nicht dem, der sie sagt, sondern dem, der sie dauernd um die Ohren geschlagen, vor die Augen gehalten bekommt.

Erinnern Sie sich noch an die Politiker aller Couleur, die im Brustton schleppender Entrüstung den Gegner aufforderten, "Ross und Reiter" zu nennen. Und das, obwohl sie wussten, dass dieser mit dem Daimler vorgefahren war und das Stündlein der Reiterstaffeln längst als Damoklesschwert auf Grundeis ging. Sie erinnern sich nicht? Glücklicherweise? Gut!

Aber die "trockenen Tücher", in die man alles bringen musste, leider noch nicht gebracht hatte oder glücklicherweise doch schon, die sind Ihrem sprachempfindlichen Magen noch in kotzübler Erinnerung.

Am Anfang dachte man, welch schönes Bild, sah vor seinem inneren Auge ein rosiges Baby, nass der Wanne entnommen, krebsrot, schreiend, tropfend - bis Mami es in trockene Tücher wickelte. Oder so ähnlich. Manche dachten älter. Dann aber jeden Tag ein Wirtschaftskapitän, ein Finanzminister, ein Papierstau-Reformer, ein Städteplaner, immer war alles in oder nicht in trockenen Tüchern.

Kaum sind wir dieser ausgetrockneten Phrase entronnen, regt sich schon die nächste, und die heißt seit Wochen, Tag für Tag, Stunde für Stunde: "auf Augenhöhe". Ob Westerwelle will, dass wir mit Bush verhandeln, ob er bei Schröder und Stoiber im Fernsehen mitstottern will - stets soll es "auf Augenhöhe" geschehen.

Unwillkürlich denkt man an des preußischen Soldatenkönigs Lange Kerls, die sich alle hoch gereckt mit stahlblauen Augen anstarren. Und man erinnert sich an die ebenfalls zu Tode gerittene Gut-Mensch-Floskel vom, kotz!, "aufrechten Gang". Chaplin hat sich im "Großen Diktator" schon über die gleiche Augenhöhe belustigt, indem er den Film-Hitler und den Film-Mussolini beim Friseur sich mit dem Stuhl hektisch auf gleiche Augenhöhe pumpen lässt. Und in einer Gesellschaftsreportage über Ski und Apres-Ski war über einen beliebten Skilehrer, Liebling der Frauen, zu lesen: "Ein Kerl wie ein Baum! Sie nannten ihn Bonsai!"

Man kann sich überlegen, wie der notorisch kleine, notorisch kugelrunde Napoleon (ja, der Bonaparte) ganz Europa in die Knie zwang, um mit den Majestäten Spanien, Preußen und Österreich "auf Augenhöhe" zu sein. Jedenfalls sind die, die die Phrase von der gleichen Augenhöhe gebetsmühlenartig wiederholen, gedankliche Zwerge, sprachliche Fruchtzwerge.

Redensarten brauchen nach häufigem Verschleiß eine Schonzeit. Damit man den Phrasendreschern wieder in die Augen schauen kann - auf welchem Niveau auch immer. Damit im Herzen der Schmerzen nachlässt.

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