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Kultur: Auf dem Gedankenstrahl

Zwischen Katastrophen und Mojitos: zum Abschluss des

Von Steffen Richter

Bis vor kurzem war es keine Schande, Giwi Margwelaschwili nicht zu kennen. Nun aber ist es an der Zeit, ein schwerwiegendes Versäumnis nachzuholen. Es gehört zu den vielen Verdiensten des 2. Internationalen Literaturfestivals Berlin, uns unsere LektüreLücken gezeigt zu haben. Am Sonnabend ging das Festival zu Ende: Bis zu dessen dritter Auflage im nächsten Jahr haben wir einiges zu lesen. Margwelaschwili zum Beispiel.

Kaum zu glauben, dass der Mann mit dem schwer aussprechbaren n ein deutscher Schriftsteller ist. Einer, der immerhin um die 35 literarische und philosophische Bücher geschrieben hat, mit einem skurrilen, schelmenhaften Blick auf die Katastrophengeschichte des letzten Jahrhunderts. Der 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geborene Autor kam nach dem Krieg zunächst ins KZ Sachsenhausen – was er im zweiten Teil seiner Autobiografie „Kapitän Wakusch. Sachsenhäuschen“ zu Literatur gemacht hat. 1947 wurde er von Stalins Schergen nach Georgien verschleppt und fristete dort sein Leben als Deutschlehrer und Philosoph an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Die philosophischen Texte schrieb er auf Russisch, die literarischen auf Deutsch. 1969 hätte seine Stunde schlagen können. Da kam Heinrich Böll ihn in Tiflis besuchen. Und wäre nicht die berechtigte Furcht vor Repressalien gewesen – den Tod seines Vaters hatte das NKWD zu verantworten –, dann wäre Margwelaschwili vielleicht nicht davor zurückgeschreckt, dem Deutschen die eigenen Manuskripte zum Schmuggel über die Grenze anzuvertrauen. Sein Name könnte heute neben dem Solschenizyns stehen.

Die wenigen Ausschnitte aus seinen Büchern, die im Pavillon des Berliner Ensembles zu hören waren, legen den Verdacht nahe, hier hätten Italo Calvino und Jorge Luis Borges zusammen einen Roman geschrieben, der von Michail Bulgakow lektoriert wurde. Margwelaschwilis Welt ist aus Texten erbaut, die mal die Bibel, mal die „Ilias“, dann wieder den „Hamlet“ spiegeln. Dennoch schließt er sein Universum nicht gegen die Außenwelt ab. Im Roman „Muzal“ etwa steigen die Hauptpersonen auf einem „Gedankenstrahl“ in den Kopf des Lesers und machen sich mit den Fantasien vertraut, die sie selbst ausgelöst haben. Geistige Freiheit: Das ist für jemanden wie Margwelaschwili keine hohle Phrase. Er war übrigens gar nicht persönlich in den Pavillon des Berliner Ensembles gekommen und ließ sich von Ekkehard Maaß vertreten. Um so erstaunlicher, dass keiner sich am Paradox einer Dichterlesung ohne Dichter störte, sondern gebannt lauschte. Eine Tatsache, die für die außergewöhnliche Qualität der Texte spricht.

Pedro Rosa Mendes hat als Journalist und Rucksacktourist den afrikanischen Kontinent von Angola über Namibia und Simbabwe nach Mosambik durchquert. Zurückgekommen ist er als Schriftsteller. Da reist ein 30-jähriger Weißer durch die ehemaligen portugiesischen Kolonien. Er wird ausgeraubt, hat Hunger, läuft durch Minenfelder und landet im Gefängnis. Aus alledem wird ein Erfolgsbuch, das mittlerweile in sechs Sprachen übersetzt ist. Die Größe von „Tigerbucht“ besteht darin, dass keine Zeile aus dem Elend literarischen Mehrwert zieht. Immer oszilliert das Buch auf der Grenze zwischen Realem und Fiktivem. Die Form des Fragmentarischen, so Rosa Mendes, resultiere aus dem, was es darzustellen gelte. Und schließlich verstecke sich in ihr sogar so etwas wie eine Utopie: Diese Welt, die tausendmal zerschlagen wurde, ist bisher immer wieder neu zusammengesetzt worden. In der Lebenswirklichkeit und in den Köpfen der Leser.

Das Theaterhaus Mitte präsentierte eine Art Kontrastprogramm: Bei der „Fiesta de la Poesia“ mit lateinamerikanischen Lyrikern und Musikern wollte die Literatur niemandem ernsthaft wehtun. Huilo Ruales Hualcar aus Ecuador besang in seinen Gedichten Liebe, Mythos, Natur, Schönheit, Schmerz und natürlich die Poesie. Trotz sinkender Temperaturen und einsetzenden Regens war man hier wild entschlossen, der Lebensfreude freien Lauf zu lassen. Statt des Berliner Szene-Gesöffs gab es echten Mojito, an dem Hemingway angeblich seine Freude gehabt hätte. Außerdem konnte man verschiedene „Poemas de bolsillo“ erstehen – Gedichte für auf den Weg und zum in die Tasche stecken. Zwischen BE und Theaterhaus Mitte wurde klar: Die Literatur ist groß. Warum sollte das Festival kleiner sein?

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