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Kultur: Auf den Zahn gefühlt

Die Sammlung Spiekermann zu Gast bei Daimler-Chrysler-Contemporary

Von Zdenek Felix Dass Ärzte zeitgenössische Kunst sammeln, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Wenn aber eine Zahnärztin Bilder, Zeichnungen und Plastiken von Künstlern und Künstlerinnen erwirbt, die zugleich auch als Patienten ihre Praxis bevölkern, kann gewiss von einer besonderen Beziehung zwischen Sammlerleidenschaft und Kunstproduktion gesprochen werden.

Für die inzwischen in Ruhestand gegangene rheinische Ärztin Heliod Spiekermann bedeutete die Beschäftigung mit Gegenwartskunst immer zugleich auch die Auseinandersetzung mit deren Urhebern. Da konnte auch die Zahnarztpraxis als ein geeigneter Ort der Begegnung und des Gedankenaustauschs mit den Jungstars der Szene um Köln und Düsseldorf dienen. Der früh verstorbene Martin Kippenberger gehörte zu ihrer Kundschaft ebenso wie die Objektmacherin Rosemarie Trockel oder der zwischen Hamburg und Köln pendelnde Maler Albert Oehlen. Mit Neugier und Wissensdurst ausgestattet frequentierte Heliod Spiekermann Ateliers, Vernissagen und Künstlerlokale des in den siebziger und achtziger Jahren international berühmten Kunstschauplatzes Köln, nicht ohne rechtzeitig zuzugreifen und exemplarische Werke für die eigene Sammlung zu erwerben.

Eine Kostprobe aus dieser originären und sehr persönlichen Kunstsammlung zeigt im Haus Huth am Potsdamer Platz Daimler-Chrysler-Contemporary. Dabei wird, wie bereits in den vorangegangenen Ausstellungen aus den Sammlungen Paul Maenz und Ileana Sonnabend, von Daimler-Chrysler ein Dialog mit den eigenen Beständen angestrebt. Bei der jetzigen Schau ist das Konzept „Private/Corporate“, wie der Titel der Ausstellungsreihe lautet, besonders zutreffend, da hier zwei Welten aufeinander stoßen. Die in großen Dimensionen angelegte Konzernsammlung begegnet einem fast intimen Konvolut von Werken, die in Privaträumen und bis vor kurzem in der Zahnarztpraxis hingen. Dementsprechend stößt man nicht auf gigantische Formate, es gibt keine riesigen Installationen und auch keine überdimensionierten Screens. Dem Dialog der Werke tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, es fordert ihn geradezu heraus, da die intimeren Formate unmittelbar auf das Wesentliche verweisen.

Das Wesentliche für die Sammlerin ist ihr Interesse an den „Hintergründen“ der Kunst. Es gehe ihr, berichtet sie im Katalog, darum, „Werke mit einem inhaltlichen Anliegen, das auf ‚Sinn’ verweist“ zu finden. Georg Herolds „Genetischer Eingriff in die Erbmasse bei Frau Herold“ von 1985 ist ein Paradebeispiel für eine solche Sinn-Gebung. Die Methoden der Genforschung werden in dieser aus Latten und Draht angefertigten Skulptur mit dem Verweis auf den Hunger in den letzten Kriegesjahren und danach und gleichzeitig die Zeit der Geburt des Künstlers, ad absurdum geführt. Verwandt damit ist die Arbeit „Made in Western Germany“ von 1987, mit der Rosemarie Trockel den politisch-ökonomischen Gehalt dieses früheren Logos durch die Repetition gestrickter Worte unterläuft. Auch die beiden Arbeiten von A. R. Penck, „Denkmal für Tel Aviv“, 1985, und „Kleiner Computer“, 1987, stellen die Sinnfrage. Thematisiert wird hier das Verhältnis von Technologie, Naturwissenschaft und Kunst, die von Penck als Codes eines potentiellen, zukünftigen Systems betrachtet werden.

Bei Albert Oehlen dringt scheinbar die Antithese des Privaten vor: „Die Wahrheit liegt in der Wohnung“ aus dem Jahr 1984, heißt ein Bild, in dem sich das Elend der bürgerlichen Behausung in ein Zitatenspiel der neueren Kunstgeschichte verwandelt. Und noch ein „Privatissimum“ liefert Martin Kippenberger mit seinem bleibeschichteten Holzbild „Upside down and turning me“, 1989, das in der Höhe den Körpermaßen der Sammlerin entspricht und durch die Oxydation des Bleis die Anmutung einer Gestalt hervorruft.

Bei der Konfrontation der Werkgruppen aus diesen beiden so unterschiedlichen Sammlungen kommt es zu motivischen Ergänzungen, wie bei den drei „Köpfen“ von Georg Baselitz und den „Porträts“ von Andy Warhol. Dialoge entstehen dort, wo verwandte Inhalte wie die feministische Kritik bei Ulrike Rosenbach und Rosemarie Trockel zusammen kommen. Es ist dabei spannend zu sehen, wie deutlich sich eine im Umfang eher bescheidene, in der Qualität jedoch überzeugende Privatsammlung im Kontext einer institutionellen Großkollektion behauptet.

Der Autor war Direktor der Hamburger Deitchtorhallen und lebt heute als freier Ausstellungskurator in Berlin.

– Private/Corporate III: Works from the Daimler-Chrysler- and Heliod-Spiekermann-Collections, bis 17. Juli.

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