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Kultur: Auf der Achterbahn

Gut für Überraschungen: die Frühjahrsauktionen der Villa Grisebach

Es waren nicht bloß die sommerlichen Temperaturen. Gleich das erste Stück in der Villa Grisebach trieb den Bietern kleine Schweißperlen auf die Stirn: ein „Satyr“ von Christian Daniel Rauch. Einen halben Meter maß das Brustporträt aus Holz von 1796, das seinen Schätzpreis von 15 000 Euro schnell verdoppelte und erst bei einem Angebot von 33 000 Euro stehen blieb. Satyrhaft ging es dann auch während der gesamten Frühjahrsauktion mit ausgewählten Werken zu: Da erreichte eines der geliebten Gartenbilder von Max Liebermann gerade einmal seine untere Taxe, während Georg Muches abstraktes Ölgemälde von geschätzten oberen 70 000 Euro um fast ein Dreifaches stieg: Weltrekord für ein Gemälde des einstigen Bauhaus-Lehrers.

Wenig ging zurück am Freitagabend, darunter ein Blumenaquarell von Emil Nolde, für das keiner den Mindestpreis von 100 000 Euro zahlen wollte. Überhaupt Nolde: An seinen zahlreich eingelieferten Blättern ließ sich wunderbar ablesen, was der rappelvolle Saal in der Villa Grisebach von Malern wie ihm erwartet: stilistische Eindeutigkeit. So toppten die „Dunklen Wolken über der Marsch mit Bauernhaus“ (1935) die obere Taxe von 180 000 locker um 50 000 Euro. Ein helles, freundliches Aquarell mit harmlosen Dalien schaffte dagegen nur knapp die geschätzte Untergrenze von 100 000 Euro.

Experimente gestattet man eher solchen Künstlern, die nicht auf aller Einkaufslisten stehen und die sich erst während einer Auktion zu Favoriten entwickeln. Wie Georges Lacombe, der in seinem wunderbar surrealen Landschaftsgemälde „Lame violette“ von 1896/97 das Meer lila färbt und an gelbe Felsen schäumen lässt, die wie Gesichter aussehen: So viel Fantasie war einem Bieter statt der angesetzen 30 000 gleich 87 000 Euro wert.

Weit über den Schätzpreis von 250 000 bis 300 000 Euro kletterte das Ölgemälde „Match de cricket à Bedford Park, London“ von Camille Pissarro (1897). Erwartungsgemäß, denn solch ein seltenes Stück aus einer Berliner Privatsammlung ist nicht oft zu haben. So boten einige noch über die Millionengrenze mit, bevor sich ein Interessent mit 1, 275 Millionen Euro an die Spitze setzte. Ähnlich verhielt es sich mit einer Leinwand von Franz Marc (140 000 bis 180 000), die Auktionator Peter Graf zu Eltz für 270 000 abgab. Und natürlich mit August Mackes „Kinder am Hafen“ (1914), dem Prunkstück des Abends, das seine Spitzentaxe von zwei Millionen Euro jedoch nicht erreichte und das Haus für 1,75 Millionen Euro (alle Preise ohne Aufgeld) verlässt.

Hinter den Erwartungen blieb auch Max Beckmanns „Grauer Strand“ von 1928 zurück. Ein toller, typischer Beckmann, für den man mehr als eine Million erwartete und der dann doch für knappe 900 000 Euro wegging. „Ein Schnäppchen, der Beckmann“, flüsterte die Sitznachbarin, bevor sie von der Losnummer 49 eines Besseren belehrt wurde: „Geschwister“, ein großes Aquarell desselben Malers, brachte es in wenigen Sekunden auf 780 000 Euro – obwohl es auf weit weniger taxiert worden war.

Eine ähnliche Achterbahnfahrt absolvierte schon die Fotografie am Donnerstag. Der Star des ersten Abends: „7 Novembre, Paris“, 1991 im Rahmen der Serie „Chambre close“ gemacht entstanden, das wohl berühmteste Foto von Bettina Rheims. Nach einem Bietergefecht zwischen Saal und Telefon fiel der Hammer für Rheims’ Erotik-Ikone bei 25 000 Euro. Die Schätzung hatte bei 3000 bis 5000 Euro gelegen. Erleichterung im Saal, nach zwei eher trägen Auktionsstunden. Ein weniger bekanntes Motiv der „Chambre close“-Serie, „14 Juillet, Paris“, etwas großformatiger und nur eines von drei Exemplaren, wurde bei 10 000 Euro einem Telefonbieter zugeschlagen und blieb im Rahmen der Taxierung.

Rund 300 Arbeiten kamen zum Aufruf – und läuteten traditionsgemäß die Frühjahrsauktionen ein. Es machten auch diesmal nicht die im Katalog besonders schön präsentierten Highlights das Rennen. Zum Beispiel Alfred Eisenstaedts Vintage von 1928 mit den beschwingten Jungschauspielerinnen Marlene Dietrich, Anna May Wong und Leni Riefenstahl, das mit 7000 bis 9000 Euro zu hoch geschätzt war und keinen Käufer fand. Auch Fotos von Yevgeni Chaldej oder Hiroshi Sugimoto ging es ähnlich. Wenn der Entstehungszeitpunkt eines Abzugs unklar oder die Auflage zu hoch ist, helfen auch aktuelle Museumsausstellungen nicht.

Ausnahmen von dieser eisernen Fotokaufregel finden sich im Bereich zeitgenössischer Fotokunst: Shirin Neshats in nicht nummerierter 250er Auflage unters Kunstvolk gebrachter Print „I am ist secret“ von 1993 übertraf mit 8500 Euro die Schätzung. Thomas Struths Edition „Pergamon V“ war einem Telefonbieter 2400 Euro wert – das Dreifache der Taxe, bei einer 150er-Auflage. Struths Düsseldorfer Professoren Bernd und Hilla Becher reüssierten mit zwei Serien von Fachwerkhäusern. Vergleichbar frühe, von den Künstlern selbst geordnete, montierte und kommentierte Arbeitsabzüge sind äußerst selten. Die auf 2000 bis 3000 Euro geschätzten Konvolute wurden auf 15 000 und 8500 Euro gehoben.

Im Bereich der klassischen Fotografie zählen Qualität in Verbindung mit besonders typischen Motiven. Aenne Biermanns Stillleben einer halb geschälten Kartoffel war einem Saalbieter 4500 Euro wert (Taxe 800-1000 Euro). Und Albert Renger-Patzsch löste mit seiner um 1928 entstandenen Sachfotografie schattenwerfender Gläser ein wahres Bietgefecht aus. Bei 20 000 Euro (Taxe 4000-6000 Euro) konnte Peter Graf zu Eltz den Hammer niedersausen lassen – um gleich das nächste Los, ebenfalls ein frühes Vintage von Renger-Patzsch, retournieren zu müssen. Der Trend geht, so Grisebach-Fotospezialistin Franziska Schmidt, zurück zur „klassischen deutschen Fotokunst“ der zwanziger und dreißiger Jahre. Wer den Mut aufbringt, versetzt zum Mainstream zu sammeln, kann bei Grisebach selbst in diesem umkämpften Feld wunderbare Entdeckungen machen.

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