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Kultur: Auf der Durchreise: Annie Leibovitz illustriert ihren amerikanischen Traum

Berühmte Menschen zu fotografieren, ist reizvoll. Besonders für Fotografen, die selbst berühmt sind und die anderen dann in Privatpersonen verwandeln.

Berühmte Menschen zu fotografieren, ist reizvoll. Besonders für Fotografen, die selbst berühmt sind und die anderen dann in Privatpersonen verwandeln. Annie Leibovitz (54) hat dieses Stadium längst überwunden. Wenn die amerikanische Starfotografin mit einem Dutzend Assistenten und astronomischen Budgets anrückt, um die unberührbaren Häupter des Medienzeitalters zu porträtieren, demontiert sie keine Glamour-Fassaden. Sie moduliert sie. Sie spielt mit den Celebrity-Legenden, so wie sie die kühl-erotische Arbeitsbeziehung des New Yorker Rock-Duos The White Stripes (unser Bild) dramatisch überhöht, als wollte sie einen Satz des Kulturphilosophen Leslie Fiedler illustrieren. Der sagte, Amerikaner seien eher „Bewohner eines Mythos“ denn Zeugen der Geschichte.

Mit nichts verbindet sich die Sehnsucht nach den „Roots“, den Wurzeln, so stark wie mit dem Mississippi-Delta. Auch Leibovitz hat sich für ihr neuestes Projekt „American Music“ (Schirmer/Mosel-Verlag, München 2003, 256 Seiten mit deutschen Texten, 78 Euro) in den ländlichen Süden begeben, zur Wiege dessen, was selbst Großstadt-Freaks wie die White Stripes noch umtreibt. Die ehemalige „Rolling Stone“-Fotografin war in Graceland, um Elvis’ Plattenspieler aufzunehmen, sie war in Nashville, um die Jubilee Singers der Fisk University unter ausladenden Bäumen zu treffen, sie hat Po’s Monkey Lounge festgehalten, wo zwischen Baumwollfeldern noch immer Bluesmusiker Halt machen und „Schmuddeljeans“ verboten sind. Die gesamte Prominenz der amerikanischen Volksmusik ist vertreten. Von Dolly Parton, Emmilou Harris und Johnny Cash bis Eminem, Rick Rubin und Missy Elliott. Aber auch solche Musiker sind von ihr aufgesucht und porträtiert worden, die kaum jemand kennt. So wie Othar Turner, ein steinalter, schwarzer Mann, der in seiner armseligen Behausung und in speckigen Latzhosen ausdruckslos in Leibovitz’ Kamera blickt.

Angsichts solcher Bilder höhnte die „New York Times“, Leibovitz sei „der Porträtfotografie unterwürfig ergeben, während sie bemerkenswert wenig Interesse für die Menschen zeige“. Und wirklich ist ihre jüngste Spurensuche nur vordergründig eine Reportage. Schon seit sie für das „Rolling Stone Magazine“ hinter die Rock’n’Roll-Kulissen blickte, weiß sie, wie nichtssagend Musiker aussehen, die in einem Hotelzimmer Gitarre spielen. Und so inszeniert sie ihre Helden als Teil einer Landschaft, als Bewohner ihres eigenen Mythos.

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