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Kultur: Auf der Jagd nach der Wolke

Vor der Berlinale präsentiert Berlins Filmmuseum den Regisseur F.W. Murnau

Ulrich (oder Wilhelm) von Hutten hat ihn Else Lasker-Schüler genannt. Hellmuth rief ihn sein Freund Hans Ehrenbaum-Degerle. Friedrich Wilhelm Plumpe selbst nannte sich seit seinen Studienzeiten Murnau, nach dem bayerischen Zentrum der Künstlergruppe „Blauer Reiter“. Das Spiel mit Namen und Identitäten gehört zum Zeitgeist: In Berlin gerät Murnau durch Ehrenbaum schnell in die Dichterkreise um Lasker-Schüler sowie ans Theater, wo er bei Max Reinhardt spielt und sich unter anderen mit Conrad Veidt, einem seiner späteren Hauptdarsteller, anfreundet. Ansichtspostkarten künden dem Bruder Robert nach Bielefeld stolz vom neuen Leben.

Mit der Studienzeit beginnt auch die exzellente Murnau-Ausstellung, mit der das Berliner Filmmuseum – anlässlich der bevorstehenden Berlinale-Retrospektive – erstmals den Murnau-Nachlass in Berlin präsentiert. Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Gesellschaft will ihn erwerben und Berlin als Dauerleihgabe überlassen. Einen Grundstock allerdings besitzt das Filmmuseum schon länger: in Form der wunderbaren Filmmodelle der „Schattengasse“ für „Phantom“, des „Flugs auf dem Mantel Mephistos“ für „Faust“ oder der „Stadt“ für „Sunrise“. Und mit der ersten Murnau-Ausstellung 1961 in der Akademie der Künste war so etwas wie der Grundstein der Kinemathek gelegt, erinnert Hans Helmut Prinzler, Leiter des Filmmuseums und Herausgeber des Katalogs.

Der erste Weltkrieg bringt – wie für viele – auch für Murnau eine Zäsur. Er wird eingezogen, Ehrenbaum fällt 1915. 1918, Murnau ist in der Schweiz interniert, wird er auf Hotelbriefpapier der „Pension Feldberg“ in Luzern sein erstes Filmskript niederlegen. „Teufelsmädel“, die Geschichte eines Landmädchens, das in Berlin unter die Räder gerät, spielt schon mit dem Gegensatz zwischen Stadt und Land, den so viele seiner Filme, vom „Brennenden Acker“ bis zu „Sunrise“, thematisieren werden.

Murnaus erster Film „Der Knabe in Blau“ ist – wie acht weitere – verschollen. Das einem Gainsborough-Gemälde nachempfundene titelgebende Bild, das den Spross einer verarmten Adelsgesellschaft verfolgt und in den Irrsinn treibt, hängt in der Ausstellung: Murnau hatte Gainsboroughs „Blue Boy“ abmalen und mit dem Kopf des Schauspielers Ernst Hofmann versehen lassen. Überhaupt sind die Film-Stills der verschollenen Filme, die in der Ausstellung zu sehen sind, eine der Hauptattraktionen: Die Szenenbilder von „Satanas“, „Der Bucklige und die Tänzerin“ oder „Januskopf“ zeigen schon die für Murnau typische extreme Tiefenschärfe, eine Ausgestaltung und Ausleuchtung bis in den letzten Winkel, die den Raum zum eigentlichen Protagonisten macht. Der monumentale Saal in „Schloss Vogelöd“, in dem sich das entfremdete Ehepaar begegnet, wird diese Technik perfektionieren.

Hier – nicht nur hier – hat sich Murnaus Kunstgeschichtsstudium in Heidelberg bemerkbar gemacht. Stolz hatte er in einer Postkarte der Mutter von Henry Thode berichtet, bei dem er Vorlesungen höre. Die Rückgriffe auf kunsthistorische Vorlagen sind vielfältig. Kristina Jaspers hat sie für die Ausstellung den Filmszenen gegenübergestellt: Caspar David Friedrichs „Mann und Frau, den Mond betrachtend“ dem nachdenklichen Faust über den Wolken, Käthe Kollwitz’ Elendsszenen den Bauernszenen aus dem „Brennenden Acker“, Edvard Munchs „Kuss“ und „Vampir“ den Liebesszenen aus „Sunrise“.

Auch privat bleibt Murnau der Kunst treu: Seine Villa in der Douglasstraße 22 lässt er von seinem Freund Walter Spies mit persischen Motiven ausmalen. Er erwirbt eine „Marmon Innensteuer-Limousine“ und posiert stolz mit Hund davor. Willy Haas’ Beschreibung von Murnau – „ungewöhnlich kühl mit einer engländerhaften Gemessenheit, extra dry“– kommt in den Sinn und verfliegt sofort wieder, wenn man die Fotos eines Sommerausflugs an den Wannsee sieht: Murnau im schwarzen einteiligen Badeanzug, in Gesellschaft von Ruth Landshoff- Yorck und Hans Jahnke, ein ausgelassenes Sommerbild. Überhaupt fallen die zahlreichen Bilder junger Männer auf, die Murnau nicht ohne Sinn für Pathos fotografiert: In der Pose des Dornausziehers, im Schilf am Wannsee. Nein, ein Melancholiker, wie der Katalog will, war Murnau nicht, nicht nur.

1926 wandelt sich das Bild: Murnau geht nach Amerika, um mit „Sunrise“ seinen ersten Film in der neuen Welt zu drehen. Fotografien von New York und San Francisco belegen, wie sehr ihn die amerikanische Großstadt beeindruckt hat – und doch ist das Stadtmodell, das Rochus Gliese für „Sunrise“ entwarf, eindeutig von Berlin geprägt: Von der modernen Architektur eines Erich Mendelsohn, dessen Mosse-Haus fast 1:1 nachgebaut ist, vom Gewimmel der Menschen, Straßenbahnen, Automobile, von den Leuchtreklamen und Laternen am Potsdamer Platz. Und selbst das Dorf am Lake Arrowhead fand sein Vorbild in Ferch bei Berlin.

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land, Architektur und Natur hat Murnaus Filme geprägt. Dass es nicht leicht war, mit ihm zu drehen, zeigen Glieses Schilderungen, wie er für „Sunrise“ am abgelegenen Lake Arrowhead einen Baum immer wieder neu belauben musste, um den Ansprüchen des Meisters zu genügen. Und eine Karikatur zu „Nosferatu“ zeigt zwei Männlein, die mühsam einen Berg erklimmen, auf der Jagd nach einer kleinen Wolke: „Zwecks Aufnahme von Nebelbildung, 2100 Meter!“

Filmmuseum Berlin, bis 4. Mai. Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Retrospektive der Berlinale 6. bis 16. Februar. Katalog (Bertz-Verlag) in der Ausstellung 20, im Laden 25 Euro.

Christina Tilmann

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