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Kultur: Auf der Suche nach der zweiten Moderne

Die siebte Ausgabe des münchner Festivals wird mit Claus-Steffen Mahnkopfs "Angelus Novus" eröffnetChristian Mings Das Programmheft kündigt warnend ein Musiktheater der Zumutung an, wenn von Claus-Steffen Mahnkopfs Werk "Angelus Novus" die Rede ist. Es ist nichts Geringes was sich der Komponist und sein Regisseur und Bühnenbildner Taygun Nowbary da vorgenommen haben: Walter Benjamins 9.

Die siebte Ausgabe des münchner Festivals wird mit Claus-Steffen Mahnkopfs "Angelus Novus" eröffnetChristian Mings

Das Programmheft kündigt warnend ein Musiktheater der Zumutung an, wenn von Claus-Steffen Mahnkopfs Werk "Angelus Novus" die Rede ist. Es ist nichts Geringes was sich der Komponist und sein Regisseur und Bühnenbildner Taygun Nowbary da vorgenommen haben: Walter Benjamins 9. Geschichtsthese vom Fortschritt als Katastrophe soll in Musik und Szene gesetzt werden. Dabei geht es nicht um eine Vertonung des Textes, was, mit Verlaub gesagt, kaum möglich wäre, sondern um eine musikalische Reflexion. Und wie das heute üblich ist, wird zuerst ein neues Label kreiert.

Eine Oper sollte es unter keinen Umständen werden, Musiktheater hatten wir schon, nun heißt es Musik Theater. Diese Schreibweise soll die Unabhängigkeit der beiden Genres betonen. Und natürlich geht es um Alles. Nach dem physischen und psychischen Zustand der Menschen heute soll gefragt werden, die existentiellen Grundbefindlichkeiten stehen auf dem Programm - Angst, Freude, Hoffnung, Trauer, Verzweiflung. Ein anspruchsvolles Unternehmen. Aber für einen Komponisten wie Mahnkopf, dem es nicht an Selbstbewußtsein mangelt, kann die Aufgabenstellung nicht groß genug sein. "Die großen Opern haben sich thematisch immer übernommen", sagt er.

Taygun Nowbary hat an der Längsseite der Münchner Muffathalle drei große Leinwände anbringen lassen, auf denen zunächst in wechselnder Folge Bilder unter anderen von Goya, Breughel, Dürer und Hieronymus Bosch zu sehen sind. Dazu kommen später Ausschnitte aus Filmen von Fellini, Chaplin, Eisenstein und Fritz Lang sowie alte Wocheschauaufnahmen. Und immer wieder eingeblendet: Zitate aus den Schriften Walter Benjamins. Vor diesen drei Leinwänden befindet sich eine auf- und absteigende Rampe, auf der, in unterschiedlichen Verkleidungen, zwei Schauspieler agieren, ein Mann und eine Frau.

Ein kurzer Auszug aus der Szenenfolge: Eva im Frack, Adam im Nachthemd - im Hintergrund Adam und Eva von Cranach. Mann und Frau im Spielanzug einen Totenkopf betrachtend, dazu ein Bild von Hieronymus Bosch. Frau im Monteursanzug an einer Weltkugel herumbastelnd, Mann im Gladiatorenoutfit mit Gasmaske, im Hintergrund Picassos "Guernica" - und so weiter und so fort. Eine Form von Bebilderung, die einen im Großen und Ganzen ziemlich unberührt lässt und die in manchen Zusammenstellungen vor den ärgsten Plattheiten nicht zurückschreckt. Also lieber die Augen schließen und der Musik zuhören.

Da gibt es für die Ohren einiges zu verarbeiten. Denn Kulinarik ist Mahnkopfs Sache nicht. "Für die Unterhaltungs-Erwartung gibt es andere Medien. Das muss ich nicht bedienen", so der Komponist. Ich maße mir nun nach zweimaligem Anhören nicht an, alle Feinheiten dieses ca. 80 Minuten dauernden Werkes tatasächlich herausgehört zu haben. Es handelt sich um ein hochkomplexes, in seinen Strukturen extrem verdichtetes musikalisches Gebilde. Das Werk ist konsequent. In der Verweigerung musikalischen Wohlklangs, in der teilweise wütenden Anhäufung von Klängen, die bis an die Grenze des technisch Machbaren gehen, erweist sich Mahnkopf als genuiner Schüler seines Lehrers Brain Ferneyhough.

Aber selbst das geneigteste Ohr leidet früher oder später an Ermüdungserscheinungen. Müssen wir da durch? Oder schleicht sich da ein leichter Widerwillen gegen ein Akrobatenstück musikalischer Intelligenz ein? Die enorme Ausdifferenzierng des musikalischen Innenlebens erfordert auch dem geübten Ohr einiges an Arbeit ab.

An dieser Stelle dürfen die vorzüglichen Interpreten nicht unerwähnt bleiben, die ein solches Werk überhaupt erst ermöglichen - das Ensemble "SurPlus" unter der konzentriert-entspannten Leitung von James Avery sowie die hervorragenden Solisten: Carin Levine (Flöte), Ernest Roumbout (Oboe) Barbara Körber (Violoncello) Sophie-Mayuko Vetter (Klavier) Olaf Zschoppe (Schlagzeug) und natürlich Monika Meier-Schmid (Sopran) die die nicht ganz einfache Aufgabe hatte, die komplizierten Vokalisen und phonetischen Äußerungen der fünf Grundstimmungen - Angst, Freude, Trauer, Verzweiflung, Hoffnung - in immer wieder neuen Variationen deutlich zu machen.

Für Biennale-Chef Peter Ruzicka ist Mahnkopfs Werk ein wichtiger Beitrag zu jener "Zweiten Moderne", die die Postmoderne mit ihrer Beliebigkeit der Mittel, ihrem "Anything goes" ersetzen soll. Stattdessen sind "ästhetische Autonomie und Wirksamkeit des ästhetischen Produktes" gefragt. Wenn das so ausgeht wie an diesem Abend, dann wird der Weg sicher lang und mühsam sein. Vielleicht werden wir aber auch an einem Punkt ankommen, an dem wir schon einmal waren - diese Form von Musik wird dann nur noch für einige wenige Eingeweihte verständlich sein. Isolation als Gütesiegel.Der Autor lebt als Komponist und freier Publizist in München.

Christian Mings

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