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Kultur: Auf der Suche nach Halt und Form

Heute eröffnet das 19. Jüdische Filmfestival.

Der Rhythmus des Eran Riklis! Ein Kind läuft durch das zerschossene Beirut des Jahres 1982. Kein Werderaum für Weltanfänger. Aber wir sehen die zerstörten Straßen mit Faheds Augen. Es liegt vom ersten Moment an eine ungeheure Kraft in diesem 12-Jährigen, gespielt von Abdallah El Akal. Und in Riklis wunderbaren, skurrilen, nie sentimentalen Film, „Zaytun“, der das 19. Jüdische Filmfestival in Berlin und Potsdam eröffnet.

Faheds Fußball ist im Zweifel wirklicher als ein Flüchtlingslager. Aber Erwachsene wissen das nicht, sie haben keine starke Welt mehr in sich; darum glauben sie so sehr an das, was sie „ Wirklichkeit“ nennen. Faheds Vater hat eben einen Olivenbaum gepflanzt, als der Luftangriff kommt und ihn tötet. Eins der feindlichen Flugzeuge hat die PLO abgeschossen. Ein Blick in Faheds Gesicht genügt: Der gefangene israelische Kampfpilot (Stephen Dorff) hat keine gute Zeit vor sich – mit Fahed als Bewacher. Aber dann gehen der Junge und seine Geisel auf eine Reise. Fahed will das Dorf seiner ersten Kindheit wiederfinden, er muss Vaters Baum nach Hause bringen. Den alten Hausschlüssel trägt er wie eine Kette um den Hals, er ist sein letzter fester Anhalt in der Welt.

Und noch ein Riklis-Werk zeigt das Festival. „Playoff“ beginnt wie „Zaytoun“ 1982, es ist eine authentische Geschichte. Der Tel Aviver Basketballtrainer und Holocaust-Überlebende Ralph Klein trifft auf dem Frankfurter Flughafen ein, betritt erstmals wieder den Boden seines Geburtslandes. Er soll die deutsche Mannschaft olympiafähig machen. Der Ball ist rund, aber die Welt des Ralph Klein (Danny Huston) verliert jede einfache, einfach erklärbare Form.

Jüdischen Lebensläufen widerfährt das vielleicht häufiger als anderen. Ein jüdisches Filmfestival wird von allein weltweit, und auch dieses 19. ist voller Spurensuchen, über Länder-, Sprach-, Glaubens-, Geschmacks- und alle sonstigen Grenzen hinweg. Die aberwitzigsten Geschichten, lernen wir wieder, erfindet stets das Leben selbst. Was etwa hat der kettenrauchende jüdische Motorradfahrer Aaron Lustiger auf dem Stuhl des Erzbischofs von Paris und dann unter einem Kardinalshut im Vatikan zu suchen? Während des Vichy-Regimes in Frankreich von Katholiken versteckt, wurde Lustiger mit 14 Jahren selbst einer. Das ist schon mal ein Ausgangspunkt, dachte sich Ilan Duran Cohen, und machte wie Riklis aus der authentischen Geschichte einen Spielfilm, „The Jewish Cardinal“.

Dass hinter den bekanntesten Gesichtern ein Unbekannter stecken kann, beweist der Amerikaner Ian Ayres, der das Leben von Bernard Herschel Schwartz aus der Bronx erzählt, Sohn ungarisch-jüdischer Einwanderer. Es ist: Tony Curtis. Die großen Studios fanden diesen Namen besser. Der vielleicht schönste Dokumentarfilm des Festivals ist mit seinem diskret verspielten Witz in Bild und Kommentar vielleicht „Hava Nagila: The Movie“, eine Erkundung auf den Spuren des bekanntesten jüdischen Liedes der Welt.

Nicola Galliners Festival war immer offen für Fernsehformate. Gideon Raffs „Prisoners of War“ ist die erfolgreichste nicht komische Serie aller Zeiten in Israel, ihre Helden sind Kriegsheimkehrer, die sich an das alte neue, vertraut fremde Leben zu Hause gewöhnen sollen. Auch „Arab Labor“ ist zurück, mit dem Antihelden Amjad, Journalist und Versager, zudem Israeli, Araber, Moslem und einige Misslichkeiten mehr. Sein Schöpfer, der Schriftsteller Sayed Kashua, wollte einst eine arabische Familie in die israelischen Wohnzimmer bringen. Und da sitzt sie nun schon seit Jahren, und es sieht nicht so aus, als würde sie das Sofa bald wieder verlassen. Kerstin Decker

19. Jüdisches Filmfestival Berlin/Potsdam, Eröffnung Mo 29.4. mit „Zaytoun“, Hans-Otto-Theater Potsdam, bis 12. Mai.

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