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Kultur: Auf die Nase

ROCK Der Mann trägt immer dasselbe weiße T-Shirt und dieselbe helle Jeans. Immerhin gewaschen hat er die Sachen mal – genau wie seine langen braunen Haare.

ROCK

Der Mann trägt immer dasselbe weiße T-Shirt und dieselbe helle Jeans. Immerhin gewaschen hat er die Sachen mal – genau wie seine langen braunen Haare. Aber es dauert nicht lange, dann hat Andrew W. K. alles wieder eingesaut: Schweiß quillt aus jeder Pore, die Haare wirbeln in nassen Strähnen um den Kopf und auf der Hose sind schwarze Dreckstreifen. Das muss so sein, das gehört bei ihm zur Arbeit. Sein erstes Album heißt schließlich „I get wet“ (Island Records) und zeigt ihn auf dem Cover mit blutverschmiertem Gesicht, als hätte er gerade eine Prügelei hinter sich. Also springt, boxt und brüllt er zu seinem krachigen Fun-Metal wie ein Wahnsinniger auf der Bühne herum – und vor der Bühne. Immer wieder rennt der 22-Jährige plötzlich durch das höchstens zu einem Viertel gefüllte ColumbiaFritz und tanzt mit seinem Publikum. Einige der jüngeren Fans bestaunen den wilden Mann erst ein bisschen schüchtern, hüpften dann aber doch im Kreis um ihn herum. Nicht nur während der Ausflüge ihres Sängers helfen zwei der immerhin drei Gitarristen und der Bassmann beim Gesang. Der Hochleistungssport fordert seinen Tribut. Schon beim ersten Song warf Andrew W. K. das Keyboard, das er selber gespielt hatte, von der Bühne. Es kommt von da an vom Band. Trotzdem kann man an der knappen Stunde mit dem „liebenswerten Asi-Kindergarten“ (Charlotte Roche) überhaupt nichts aussetzen: Simpel-wuchtige Riffs, hymnische Refrains und Bassdrum-Feuerwerke von Ex-Obituary-Schlagzeuger Donald Tardy ballern durch die Halle – alles da, was der Hartrockfreund ersehnt. Und als die Band zum Schluss ihren Hit „Party hard“ spielt, sind sowieso alle Zuhörer glücklich und tanzen zur Hälfte zwischen den Musikern auf der Bühne herum. Nadine Lange

Auf die Lunge

ROCK

Mit dem Album „The Last Splash“ haben die Breeders 1993 ihren letzten Platscher getan. Und sind unter eine Drogenwoge geraten. Mit wechselnden Mitstreitern war die vielversprechende Gruppe aus Boston immer die Band von Kim Deal, der ehemaligen Sängerin und Bassistin der legendären Pixies, die, wie David Bowie jüngst verkündete, neben Sonic Youth als einzige die achtziger Jahre definiert hätten. Dazu kam ihre Zwillingschwester Kelley, die wegen schwerer Heroin-Sucht auch gleich wieder gehen konnte. Jetzt sind sie wieder aufgetaucht, wiedervereint auf Album und Bühne. Die Schwestern spielen Gitarre und singen, und sehen sich zum Verwechseln ähnlich, mit denselben strähnig langen schwarzen Haaren. Butsch: burschikos, kräftig; Kelley: ziemlich voluminös. Und beide haben einen schweren Rockergang, hängen sich die Gitarren um wie Rocknrollmachos und knallen los. Sehr grob und roh. Die kleine Bühne des ColumbiaFritz lassen sie enger erscheinen als sie ohnehin schon ist. Die Reihe von Verstärkern ist dicht am vorderen Bühnenrand aufgebaut. Dass kaum Platz bleibt dazwischen für die Damen, den Bassisten, einen dritten Gitarristen, und den Drummer in der Mitte. Wie auf der Platte trommelt er ganz vorne, trocken und direkt. Es klingt wie eine Garagenband im Übungsraum: Laut, aggressiv, verzerrt, ungehobelt. Als würden Kim Deal die Songs gerade erst einfallen, während ihre Band ein bisschen rumprobiert, und eine Horde begeisterter alter Freunde hört zu. Wie der Bass knorpelt und achtelt. Gitarren rattern und spachteln. In Affenzahn oder Midtempo-Rumplern. Dazu der düstere, zwischen Monotonie und Melodie changierende Krähengesang Kims, der von Song zu Song krächziger wird. Bis kaum noch was da ist von der Stimme. Aber wen wundert’s: Sie rauchen und trinken wie die Bierkutscher, beginnen Stücke ohne Vorwarnung, spielen ein paar wüste Gitarrenriffs, brechen ab, nächste Nummer. Unfertige Schnipselsongs zwischen Punk und Grunge und Velvet Underground. Schön, aber auf die Länge dann doch ein wenig kurzatmig und eintönig. H.P. Daniels

Auf die Polka

POP

Klar, für einen zünftigen Stampf- und Schunkelabend hätte man auch ins „Wild at Heart“ gehen könen, wo am selben Abend die Zeltinger Band spiel. Doch was ist schon ein abgestandenes Kölsch gegen frischgepressten Most aus Oberösterreich? Mit einem scharf zischenden Obstler hinterher? Seit zwölf Jahren stehen Attwenger aus Linz für „Qualität made in Austria": Volksmusik an die Wand gespielt, mit Witz und Ernsthaftigkeit, was das Bearbeiten musikalischer Quellen angeht. Nach einer fünfjährigen Pause hat sich das dynamische Mostschädel-Duo mit dem Album „Sun“ (Trikont) eindrucksvoll zurückgemeldet und auch bei ihrem Auftritt im Knaack begeistern sie das Publikum mit gewohnter Energie und Spielfreude: Markus Binder an der Mini-Schlagzeugkiste, Maultrommel und Gesang, Hans-Peter Falkner an der Steirschen Knopfharmonika, elektrisch verstärkt und mit allerlei Effektgeräten verschaltet, ebenfalls Gesang. Zwei Individualisten, denen die Authentizität ihrer Gefühle und Obsessionen wichtiger ist als antrainierte Virtuosität und die doch virtuos und keinesfalls clownesk in ihren Traditionen aufgehen. Geschult auf heimatlichen Tanzböden haben sie das Handwerkszeug verinnerlicht und sich verwegen von ihm abgekoppelt. Binder groovt mit erstaunlicher Präzision. Falkner schnauft wie eine Dampflok, von der es kein Abspringen gibt. Dazu rattern digtale Beats und Drum-Loops von der „Festplottn“, verdichten sich zu High-Energy-Landlern, manisch-gedroschenen Zwiefachern oder querschädeligen Hip-Hop-Polkas, wobei es immer dann am schönsten wird, wenn der phonetische Wahnwitz ihres ganz eigenen Rap-Stils, der zu gleichen Teilen an Ernst Jandl und Karl Valentin erinnert, mit dem Irrsinn in der Musik zusammenfällt: „waun des Wirrwarr weniga irr wa". Oder: „waunst in die Sun schaust und die Augn zumochst is olles gauns rot". Ein Sonnenuntergang, vor dem die Fetzen der Verzweiflung fliegen. So schön kann Volksmusik sein. Volker Lüke

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