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Kultur: Auf einen Kaffee an der Tanke Huldar Breiðfjörðs Roman „Liebe Isländer“

Der Mann traut sich was. Im Auto durch Island, mitten im Winter, im tiefen Schneegestöber auf eisglatten Straßen.

Der Mann traut sich was. Im Auto durch Island, mitten im Winter, im tiefen Schneegestöber auf eisglatten Straßen. Plötzlich rutscht das Auto auf eine Klippe zu, rechter Hand nur noch das vom Sturm aufgewühlte Eismeer, er schwebt in höchster Lebensgefahr. Und doch spürt der junge Mann sein Leben jetzt erst, war er zu dieser Tour genau deshalb aufgebrochen. Seine Freunde aus den Szenekneipen Reykjaviks hatten ihn ausgelacht, ihn für verrückt erklärt: Was soll das? Warum das „richtige“ Island kennenlernen, die schroffen Menschen, die es irgendwo auf dem Land geben soll? In der coolen Hauptstadt hat man für so eine Reise kaum Verständnis.

Der 25 Jahre alte Mann, der mit einem alten Volvo Lappländer auf Islands sogenannter Ringstraße seine Heimat umrundet und sich selbst finden will, ist der Ich-Erzähler und Held von dem jetzt auf Deutsch veröffentlichten Debütroman des Reiseschriftstellers Huldar Breiðfjörð: „Liebe Isländer“. Diese Erzählung folgt dem klassischen Roadmovie-Rezept: Der Weg ist das Ziel. Auf diesem, speziell isländischen Weg geschieht nicht viel. Aber das wenige ist von Bedeutung – auf isländische Art: still, unaufgeregt, konsequent.

Viele Nächte verbringt Breiðfjörðs Reisender mehr zitternd als schlafend in seinem Wagen. Durch die Ritzen dringt der Schnee, der Wind rüttelt an der Karosserie. Oft ist der alte Wagen kurz davor, seinen allerletzten Meter zu fahren – aber er hält durch, wie ein Isländer. Dem modernen Abenteurer wird sein Fahrzeug auf dieser Tour zum engsten Freund, von dem er abhängig ist, mehr noch sogar als von den atemberaubenden Mengen an Zigaretten und Kaffee. Ohnehin scheint Kaffee eine Art Nationalgetränk auf der sturmumtosten Vulkaninsel zu sein. In jedem noch so kleinen Kaff trifft man sich im Tankstellenkiosk zum Kaffeetrinken. Hier kommt der merkwürdige Fremde aus der Hauptstadt mit seinen Landsleuten ins Gespräch.

Anfangs begegnet er ihnen wie ein aufgeregter Tourist, der nur darauf wartet, dass seine folkloristischen Erwartungen erfüllt werden. Die daraufhin eher unterkühlten Reaktionen enttäuschen ihn, er hält sie für Arroganz. Im Laufe der Reise geht ihm auf, welche Haltung denn die eigentlich arrogante ist: nämlich die seine, die alles Handeln und jeden Gegenstand auf seinen Unterhaltungswert hin überprüft. „Der Gebrauchswert“, schreibt er geläutert einem Freund in Reykjavik, „der ist hier letztlich entscheidend.“ Die Treue seines Jeeps könnte kein besseres Beispiel sein.

„Liebe Isländer“ hat wiederum eine Menge Gebrauchswert für die Vorbereitung eines Islandurlaubs. Unterhaltungswert aber hat der Roman auch, und er entbehrt nicht einer gewissen Romantik: durchs Land cruisen, sich seinen Gedanken hingeben, großartige Landschaften sehen. Zuweilen überkommt einen da schon ein Frösteln. Und obwohl das Original bereits 1998 erschienen und nun hierzulande anlässlich des Gastlandauftritts Islands auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse übersetzt worden ist, erzählt „Liebe Isländer“ viel von der sagenumwobenen Insel und seinen Bewohnern. Breiðfjörðs Kaffeetrinker in den Tankstellenkiosken wissen zum Beispiel: „Isländer sind Nachrichtenjunkies, das ist bekannt – wahrscheinlich, weil sie so oft vergeblich hoffen, dass etwas passiert.“

In den letzten Jahren ist etwas passiert, eine ganze Menge sogar, von der Fettlebe bis zur Staatspleite gewissermaßen, ganz zu schweigen von den Vulkanausbrüchen. Vermutlich wäre all das für Breiðfjörðs Erzähler auch nur ein bedeutungsloses Beben gewesen, angesichts des Fazits, das er am Ende zieht: „Das Land zu umrunden war ein bisschen so gewesen wie einige Wochen lang ein Zimmer mit einem leicht beeinflussbaren Jugendlichen zu teilen, der es genauso häufig umgestaltet, wie er Gemütsschwankungen durchlebt. Insgesamt alles etwas anstrengend und auf die Dauer deprimierend, doch in dem Zimmer brodelt eine Energie, von der man beinah abhängig wird.“ Noch ein wenig mehr von dieser brodelnden Energie hätte dieser so sympathisch vor sich hinfließenden Geschichte gut getan. Dennis Grabowsky

Huldar Breiðfjörð: Liebe Isländer.

Roman. Aus dem

Isländischen übersetzt von Gisa Marehn.

Aufbau, Berlin 2011.

224 Seiten, 16,95 €.

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