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Kultur: Auf Entzug

Theatertreffen (2): Stuttgarts „Platonow“

Alles kommt wieder, egal, wie weit die Ideen fliegen. Hier haben wir, wie beim „Macbeth“ zur Eröffnung, auch einen beweglichen Wald; Birken. Auch Nebel ist hier, wie beim Volksbühnen-„Iwanow“. Wir hören, fies versampelt, David Bowies „Heroes“ (beim Pucher’schen Platonow neulich war’s Bob Dylan), und vor bald zwanzig Jahren donnerte in Jürgen Flimms Hamburger „Platonow“ ebenfalls ein Zugungetüm durchs Bild.

Das Theatertreffen ist eine Erinnerungsmaschine. Zumal bei Tschechow, dem Bumerang der Weltdramatik. Karin Henkels lärmender, dampfender und mit fast vier Stunden sehr langer „Platonow“ gehörte letzten Herbst zum großen Opening der Intendanz von Hasko Weber: Stuttgart, sagt man, hat wieder ein vorzeigbares, erfolgreiches Theater – was sich freilich beim Theatertreffen in Berlin immer leicht relativiert. Weil diese spektakelige Inszenierung im Bühnenbild von Stefan Mayer (mit knatterndem Motorrad, Feuerwerk, Konfetti und einer Sauforgie, bis der Landarzt kommt) doch recht hungrig macht – auf leisere Töne. Plattonow – hier ein Stück mit zwei „T“.

Karin Henkels Schauspielerinnen werfen sich dem verwahrlosten, aber gut aussehenden Kerl Platonow an den Hals, als wäre das Klammern und Keifen, Zittern und Zagen eine neue theaterolympische Disziplin. Interessant, wie die Regisseurin die Frauenfiguren sieht – etwa so, wie Frauen von Männern nicht gesehen werden wollen; verheult, hysterisch und irgendwie ziemlich unsexy. Und der Typ, auf den sie blind fliegen, ist das weichste Ei der russisch-schwäbischen Provinzen.

Alle scheinen, Platonow inklusive, vor Verzweiflung und Vereinsamung verblödet. Und völlig enthemmt, fast wie in einem Shakespeare’schen Sommernachtsalptraum. Ihre Droge heißt Selbstmitleid, und der junge Hauptdarsteller Felix Goeser hat sie mit Löffeln gefressen. Er schleppt den Abend wie ein früh gealterter Ackergaul – und kriegt am Ende von allen reihum den Gnadenschuss. Eine regelrechte Hinrichtung. Dem Theatertreffen fehlt, schon länger, eine überragende Aufführung. Die für sich steht. Und nicht nur für Stuttgart oder Düsseldorf oder eben auch Berlin.

Rüdiger Schaper

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