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Kultur: Auf Monsterjagd

Das Festival F.I.N.D an der Schaubühne reitet durchs krisengeplagte Europa.

„Es ist bezeichnend für die Idiotie des Menschen“, heißt es einmal, „dass er nur ein Leben hat, aber bereit ist, dieses Leben für eine Idee zu verlieren“. Kann man nur unterschreiben. Genau wie dieses: „Wir verstehen nicht, dass Revolutionäre und Terroristen immer so humorlos sind“. Stimmt schon. Wo nicht mehr gelacht werden darf, fängt der Fundamentalismus an. Das griechische Performance-Kollektiv Blitz aber hat mit dem pathetischen Sendungsbewusstsein von Umsturz-Bewegungen nichts am Hut. „Der terroristische Tanzsalon“ heißt ihre Musik-und-Zitat-Collage, die zur Klavierbegleitung allerlei Kommuniqués, Politikerreden und Attentäter-Bekenntnisse zusammenspannt. Gezeigt zur Eröffnung des Festivals Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D.) an der Schaubühne.

Das bietet in diesem Jahr einen Querschnitt durchs theatrale Krisen-Europa und forscht nach Radikalisierungstendenzen. Wobei sich wiederum beweist: wenn’s allzu ernst wird, steigt man besser aus. Die seltsame Hölderlin-Messe, die der berühmte Italiener Romeo Castellucci mit „Hyperion. Briefe eines Terroristen“ feiert (Tagesspiegel vom 19.3.), kommt jedenfalls nicht an gegen die ausgelassene Konfetti-Polonaise, die das Blitz-Kollektiv unter Publikumsbeteiligung als Action directe aufzieht. Die Agitprop-Revue führt angenehm unterspannt vor, welche Sprengkraft radikale Spruchblasen besitzen: keine. Umso deutlicher verweisen die Wortstürme im Sektglas auf die ideologischen Leerstellen.

Welches anarchische Potenzial oder wieviel Polit-Ambition hingegen im berüchtigten Kornél Mundruczó erwacht – der zweite prominente Regie-Name dieser F.I.N.D.-Ausgabe –, wird sich erst noch zeigen. Sein „Frankenstein-Projekt“, mit dem er im Ungarn der Gegenwart auf Monsterjagd geht, läuft zum Abschluss des Festivals.

Ganz klar unprätentiös ist der argentinische Theatermacher Rodrigo García. Sein Stück „Notizen aus der Küche“ – zwar schon in den 90ern entstanden, aber man muss den Begriff „neue Dramatik“ ja nicht zu dogmatisch fassen – ist ein hochkomisches Dreier-Duell am Herd. Regisseur Patrick Wengenroth kitzelt ein Größtmögliches an Esprit aus dem Stück. Es geht um zwei Männer und eine Frau, um Konkurrenz und Lammhoden in Honig. Was eigentlich die Moral von der Geschichte ist, erschließt sich nicht letztgültig, spielt aber auch keine Rolle. Der Text ist ein gefundenes Fressen für Wengenroth, weil er mit García das Faible fürs Überschießend-Absurde teilt. Toll gespielt ist der Abend noch dazu. Lucy Wirth nimmt mit souveräner Lässigkeit das Klischee des umschwärmten Vamps hoch. Niels Bormann legt eine großartige Performance als Feingeist mit eigenem Humor hin („Ich lache bei Celine. Ich lache bei Schopenhauer“). Und Urs Jucker schraubt sich furios in eine Stand-up-Passage über einen Künstler, dem für Leidensfähigkeit ein Preis verliehen werden soll. Was eher Verweigerungsimpulse stimuliert („Dann fress ich euer Büffet leer und kotz euch vor die Füße!“). Am Ende steht für alle das große Verzehren.

Noch ein geglücktes Beispiel klug-verquerer Dramatik: „Helmut Kohl läuft durch Bonn“ vom Autorenduo Nolte Decar. Das Stück lief im Studio in szenischer Lesung, während man in der Schaubühne und in der Twitter-Community aufgeregt über die Anwesenheit der großen Cate Blanchett raunte, die sich Thomas Ostermeiers „Volksfeind“-Inszenierung ansah. Schöner Kontrast. Hollywood neben Oggersheim. Die „Kohl“-Farce, wiederum von Wengenroth eingerichtet, wirft als kalauerwütige „King Lear“-Variation ein paar grelle Schlaglichter auf die Regentschaft des Einheits-Kanzlers. Auf 16 schwarze Jahre also. Und tatsächlich: selbst über die kann man lachen.

F.I.N.D. endet am heutigen Sonntag

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