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Kultur: Auf nach Graubünden!

Seit gut zwanzig Jahren findet die Schweizer Architektur weithin Beachtung, gerade auch in Deutschland.Zunächst waren es die Bauten Mario Bottas - rationalistische, von klarer Geometrie geprägte Körper -, welche Besucher ins Tessin lockten; dann geriet mit Herzog & de Meuron sowie Diener & Diener die Basler Region ins Blickfeld, wo sich eine formal reduzierte Architektur etablieren konnte, die bisweilen Nähen zur minimalistischen Kunst zeigt.

Seit gut zwanzig Jahren findet die Schweizer Architektur weithin Beachtung, gerade auch in Deutschland.Zunächst waren es die Bauten Mario Bottas - rationalistische, von klarer Geometrie geprägte Körper -, welche Besucher ins Tessin lockten; dann geriet mit Herzog & de Meuron sowie Diener & Diener die Basler Region ins Blickfeld, wo sich eine formal reduzierte Architektur etablieren konnte, die bisweilen Nähen zur minimalistischen Kunst zeigt.Und seit einigen Jahren gilt der Kanton Graubünden als Reiseziel Architekturinteressierter.In den dortigen Tälern sind eine Reihe von landschaftsbezogenen Gebäuden entstanden, welche sich mal als lakonisch-einfach, mal als sinnlich-inszeniert erweisen.Die Felsentherme in Vals von Peter Zumthor, der in Berlin das Ausstellungsgebäude der "Topographie des Terrors" baut, gilt als Markstein des bündnerischen Bauschaffens von heute; erst jüngst wurde Valerio Olgiatis Schulhaus in Paspels fertiggestellt, ein monolithischer Baukörper aus Sichtbeton, dessen Innenräume dank schräg zulaufender Wände ins Schwingen zu geraten scheinen.

Das Spektrum der schweizerischen Baukultur im 20.Jahrhundert versucht nun eine Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt am Main zu dokumentieren.Vielleicht hätte es sich angeboten, mit einer Beschränkung der ausgewählten Bauten und einer strengen Auswahl auf die Herausforderung des Themas zu reagieren.Doch die Kuratoren der Ausstellung wählten den umgekehrten Weg und versuchten, soviel Material wie möglich zu präsentieren.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Menge von mehr als 600 Objekten zu gruppieren.Die Organisatoren der jetzigen Schau entschieden sich für eine typologische Gliederung nach Bauaufgaben.Die infrastrukturelle Erschließung der Berge bildet den plausiblen Auftakt, wobei die Spannweite vom Bau der auf Viadukten kühn durch die Alpen geführten Albulabahn (1898-1903) bis hin zu dem filigranen, mit einem Hubschrauber eingeflogenen Traversiner Steg von Jürg Conzett in der Via Mala (1996) reicht.Akzeptiert man die Konfrontation mit der Natur als herausragendes Thema des Schweizer Bauens, so bilden die Ausstellungsbereiche "Hotel und Herberge" sowie "Haus" eine sinnvolle Fortsetzung."Dorf und Ansiedlung" thematisiert städtebauliche Interventionen im vorstädtisch oder dörflich geprägten Ambiente; Luigi Snozzis Projekte für Monte Carasso in der Tessiner Magadino-Ebene werden Gion Caminadas Holzarchitekturen im abgelegenen Bündner Dorf Vrin gegenübergestellt.Etwas bemüht wirkt demgegenüber der Abschnitt "Arbeit und Infrastruktur", in dem die Ausstellungsmacher versuchen, so heterogene Gebäude wie das Hallenstadion in Zürich sowie Herzog & de Meurons Basler Lokomotivdepot zu vereinen.Das Arrangement in den Obergeschossen erweist sich demgegenüber als plausibler: auf "Stadt" und "Siedlung" folgen Schulbauten und schließlich - unter dem Dach - Gebäude für Kult und Kultur.

Die Angst der Kuratoren vor eindeutigen Positionen erklärt wohl auch das für die Zusammenstellung konstitutive Prinzip, nach Möglichkeit jedes Architekturbüro nur mit einem einzigen Bau zu präsentieren - mit zwei Projekten vertreten sind lediglich Mario Botta, der gebürtige Welschschweizer Le Corbusier und der Tessiner Architekt Rino Tami.So ergibt sich eine Breitwandperspektive, in der alles scheinbar gleichwertig nebeneinander rückt.

Anstatt in die Tiefe zu gehen, bleibt die angestrebte Bilanz daher oberflächlich, reiht Beispiele positivistisch aneinander, ohne deutlich zu akzentuieren.Wer das seit Jahren in der Schweiz tonangebende Büro Herzog & de Meuron im Rahmen einer derartigen Ausstellung lediglich mit dem Lokomotivdepot in Basel präsentiert, verzerrt - gewollt oder ungewollt - das Bild.Ebenso unverständlich ist die Bereitschaft der Veranstalter, Peter Zumthors Weigerung, an der Frankfurter Schau teilzunehmen, unwidersprochen Folge zu leisten.Es ist nicht Aufgabe eines Kurators, gelegentlichen Architektenlaunen zu gehorchen, sondern Besucher umfassend zu informieren.Über das Thermalbad in Vals erfährt man lediglich durch einen Katalogaufsatz.

Die Kuratoren wären gut beraten gewesen, die Auswahl zu präzisieren und drastisch zu reduzieren.Nur so hätte den einzelnen Projekten ausreichend Platz zur Verfügung gestanden.Fünf Pläne und Zeichnungen, zwei Fotos, ein Modell - wer Rudolf Steiners Goetheanum in Dornach bei Basel nicht kennt, dem werden diese Dokumente kaum die Augen zu öffnen vermögen.

Leider verlieren sich die teilweise hervorragenden Ausstellungsstücke in der Überfülle des Materials.Zu den Prunkstücken gehören zweifellos die grandiosen Pläne des Davoser Schatzalp-Sanatoriums, aber auch ein großes Modell des Zürcher Universitätsgebäudes (Karl Moser, 1914) mit auswechselbarem Turmaufsatz.Überhaupt macht die Vielzahl von Modellen den Besuch der Ausstellung zum ästhetischen Genuß und rückt die konzeptionellen Schwächen zum Glück etwas in den Hintergrund.

Frankfurt, Deutsches Architektur-Museum, bis 29.November.Katalog im Prestel Verlag, 58 DM, im Buchhandel geb.128 DM.

HUBERTUS ADAM

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