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AUF Schlag: Ach, Malente!

Moritz Rinke trifft die Lichtgestalt beim DFB-Pokalfinale

Es gab schon viele Momente, in denen ich zu einem Bewunderer von Franz Beckenbauer hätte werden können. 1974 zum Beispiel, während der WM, da war ich sechs. Mein Großvater, der zwar seit 1945 die Schnauze voll hatte von Lichtgestalten, sagte immer: „Ohne Franz und die Nacht von Malente hätten wir die Holländer nie geschlagen!“

Die Nacht von Malente fand in der schleswig-holsteinischen Sportschule statt nach der 0:1-Niederlage gegen die DDR durch das Tor von Sparwasser. In Malente gab es winzige Zimmer, Toiletten und Waschräume nur auf dem Gang. In irgendeinem Waschraum soll dann Beckenbauer zur Lichtgestalt geworden sein. Mein Großvater war Maschinist bei der „Kaiserbrauerei Beck & Co“ in Bremen. 1974 hielt auch mein Großvater im kleinen Aufenthaltsraum der Maschinisten, die ihre Arbeit niederlegen wollten, eine Rede im Geiste von Beckenbauer und Malente. Kurze Zeit später expandierte die Produktion vom Hemelinger (so eine Art Sparwasser) zum landesweiten Beck’s als Fassbier.

Als mein Großvater jetzt beerdigt wurde, habe ich von Malente auf dem Friedhof in Bremen gesprochen. Am Samstag habe ich dann Beckenbauer beim DFB-Pokalfinale kennengelernt, wir wurden sogar vorgestellt, vom Altbundeskanzler. Ich will ja nicht angeben, aber Karl-Heinz Rummenigge stand auch daneben.

„Mein Großvater hat Sie sehr verehrt, obwohl er Bremer war und Sie Bayer. Er sprach oft von der Nacht von Malente.“

„Ach, Malente“, sagte Beckenbauer. Er schien gerührt. Der Altbundeskanzler sagte noch: „Ich habe so etwas mal auf dem Parteitag in Mannheim erlebt, wenn man plötzlich zusammenrückt!“ Er war nun auch von sich selbst gerührt, inmitten des Trubels in dieser Ehrenhalle der Selbstdarsteller. Beide schienen zurückzublicken, der eine nach Mannheim, wo er dicht an der Basis war; der andere nach Malente, wo ein großer Geist in einem winzigen Zimmer war.

„Sie schreiben Gedichte?“, fragte Beckenbauer. „Nein, aber ein Kollege von mir aus München schreibt Gedichte über Fußball. Kennen Sie die Ode an Kahn?“

„Es gibt eine Ode an Kahn?“, fragte Beckenbauer begeistert und wandte sich an Rummenigge, ob er diese Ode kenne, aber Rummenigge sagte nur: „Hmm, nee, Ode?“, er sprach schon mit einem anderen über das „Wunder von Getafe“. Nur Beckenbauer war ganz zugewandt, der Einzige, der mich beachtete, ansonsten kam ich mir vor wie Woody Allen in diesem Film, wo er auf einer Industriellen-Party sagt, er sei freischaffender Bildhauer. Aber wenn man mit Beckenbauer spricht, dann sprechen einen plötzlich alle an.

„Mein Name ist Walter Gagg, Director of the Executive Office of the Fifa-President, die WM in Südafrika ist ernsthaft in Gefahr, Sie müssen uns unterstützen!“ „Ich?“, sagte ich. „Ja“, sagte Gagg, „die Fifa zahlt nach der WM alles zurück.“ „Ich kann der Fifa kein Geld geben, Sie müssen den Außenminister fragen, Wowereit oder den Altkanzler, ich bin Schriftsteller.“

Später stehe ich vor der Ehrentoilette (nur ein einziges WC!) und denke, das gibt’s doch nicht, ausgerechnet mich gräbt die Fifa an! Plötzlich geht die Toilettentür auf und Beckenbauer kommt heraus. „Ah, Servus“, sagt er, wieder ganz zugewandt, und geht zur Verlängerung, Petric hatte gerade ausgeglichen. Ich war schon in der Halbzeitpause auf dieser Ehrentoilette gewesen, vor mir war Matthias Sammer, aber jetzt, kein Vergleich: Es duftete, ich setzte mich sogar auf die Klobrille, was ich sonst nie tue.

Wie angenehm und frisch Beckenbauer die Toilette hinterlassen hatte! Ich möchte ja nicht wissen, wie das hier jetzt aussähe, dachte ich, wenn vor mir Heinrich von Pierer, Zumwinkel oder Ackermann gewesen wären, die keine Ahnung haben, was der Geist von Malente ist und eine Toilette und ein Waschraum für alle.

Ich blieb zehn Minuten. Auch sehr an meinen Großvater denkend, der diese Geschichte wohl gerne seinen Kollegen von der Kaiserbrauerei erzählt hätte.

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