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AUF Schlag: Alte Streifen

Rainer Moritz will mit der Berlinale nichts am Hut haben

Eigentlich gehe ich gern ins Kino. Im Dunklen auf Plüsch sitzen, nicht wissen, wie man die Beine übereinanderschlagen soll, transpirierende Menschen neben sich, deren Arme sich über meine Lehne schieben – das alles trifft man zu Hause selten an. Leider komme ich gar nicht mehr dazu, ins Kino zu gehen. Zum einen wegen des noch nicht schulpflichtigen Nachwuchses, den man ja nicht ständig der Kinderfrau anvertrauen möchte. Zum anderen weil ich in Hamburg lebe, wo es zwar Filmförderung, Jan Fedder und eine Media School gibt, aber keine Berlinale. So lese ich seit Jahren die Kinoprogramme und stelle mir vor, wie es wäre, in diesen oder jenen Film zu gehen.

Manches lasse ich mir von Bekannten und Kritikern nacherzählen. Das reicht mir. Mit einem Schlag steht man nicht mehr unter der Knechtschaft des Aktuellen. Sich ständig die neuesten Bücher, Filme, Ausstellungen und Inszenierungen zu Gemüte führen zu müssen, um Eindruck als Kulturkenner zu machen – dafür bin ich zu alt. Stattdessen studiere ich intensiv Pierre Bayards Buch „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“ und merke, wie sich eine angenehme Gelassenheit meiner bemächtigt.

Was die Filme angeht, gibt mir das Nicht-mehr-ins-Kino-Gehen endlich Gelegenheit, mich an alte Streifen – sagt man noch so? – zu erinnern, die ich in den siebziger und achtziger Jahren gesehen habe, damals, als ich leibhaftig die Lichtspielhäuser aufsuchte. An „Is' was, Doc?“ zum Beispiel mit Barbra Streisand und Ryan O'Neal, eine herrliche Komödie. Oder an den skandalösen „Letzten Tango von Paris“ mit der eindrücklichen Butterszene. Und wie gerne denke ich an Claude Gorettas „Die Spitzenklöpplerin“, wo Isabelle Huppert noch ganz jung ist und eine Friseuse spielt, die sich in einen Philosophiestudenten verliebt, der so besserwisserisch ist, wie man es von einem Philosophiestudenten erwartet. Ihrer Beziehung dient das natürlich nicht, und so landet sie in einer psychiatrischen Anstalt, während er sich weiter um den Linkshegelianismus kümmert.

Ach ja, und natürlich Bertrand Taverniers „Ein Sonntag auf dem Lande“, wo herzlich wenig geschieht. Eine Familie trifft sich sommers in einem Provinznest. Man isst und trinkt, trampelt einander auf den Nerven herum, und am Ende gehen alle wieder ihrer Wege. Solche Filme gibt es heute gar nicht mehr, und schon gar keinen wie François Truffauts „Der Mann, der die Frauen liebte“. Als der Held stirbt, gerät seine Beerdigung zum Schaulaufen der verflossenen Liebschaften. Warum sollte ich heute noch ins Kino gehen?

Rainer Moritz

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