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AUF Schlag: Dichter und Hammer

Moritz Rinke über die Angst vor der Buchmesse

In diesen Tagen kommt wieder viel Post. Ah, denke ich mir, die Buchmesse steht bevor, fährst du denn nach Frankfurt? Wenn man mit anderen aus der Branche spricht, dann ist eigentlich völlig klar, dass man nach Frankfurt fährt, weil alle sagen: „Also, wir sehen uns auf der Buchmesse!“

Ich habe mir die Einladungen angeschaut: 15 Empfänge abends, 13 tagsüber ab 9 Uhr irgendwo zwischen Halle 3.1 Stand E 136 oder Halle 3.2 / F 139, ferner 11 Lesungen, z. B. Martin Walser im Holzhausenschlösschen, mittendrin Hessischer Filmpreis, dann diese tiefnächtlichen Meetings im Hessischen Hof, wo ich einmal sah, wie die Frühschicht mit dem Staubsauger um „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher herumsaugte, am Ende Friedenspreis, Paulskirche. Ich bin zu der Meinung gekommen, dass ich das eventuell nicht schaffen könnte. Körperlich schon, aber geistig?

Am Samstag war ich zum Test bei der Eröffnung des Art Forums Berlin. Jemand sagte: „Pass auf, Kunstmessen sind momentan ein bisschen wie diese Media-Markt-Eröffnung im Alexa, wo 5000 Extrem-Shopper so shoppten, dass andere dabei verletzt wurden, die Kunsthändler sind nämlich auch alle irre.“

Ich fand es dann nicht so extrem wie im Media-Markt, zumindest habe ich kein Blut gesehen. Eher bekam ich wieder diese Frankfurter Angst vor entgegenkommenden Kulturmenschen, vor überholenden Kulturmenschen, Haken schlagend, kollidierend oder aneinander vorbei gleitend und im Gleiten sich begrüßend, sich nutzend und sich verabschiedend, ein einziges Kulturgerenne und Kulturgegleite.

In Berlin auf der Kunstmesse gibt es nur zwei wichtige Hallen, aber ich dachte sofort: Mensch, bin ich denn gerade in der richtigen Halle? Steppen die bedeutendsten Bären nicht just in einer anderen? Ist das hier das absolut nutzbarste Gedränge?

Ich habe auch so eine Art Extrem-Therapie gemacht, ich war nämlich Auktionator! Für das neu gegründete Hertha-Museum, also der Präsident von Hertha, Bernd Schiphorst, hatte einen Tipp bekommen von meinem Anwalt Peter Raue (MoMA!), MoMA-Raue hat mir das aufgebrummt. Ich sollte Exponate aus der Vereinsgeschichte unter den Hammer bringen, zum Beispiel die „Viktoria“, die bis 1944 vergebene Wandertrophäe für den Deutschen Meister aus Bronze mit Quader oder die Torjägerkanone von Preetz aus massivem Eisenguss. Vorher habe ich mir auf YouTube eine Sotheby’s-Auktion angeguckt, wo ein Van Gogh unter den Hammer kam, und dann stand ich da selbst vor der Berliner Wirtschaft mit einen Hammer von der Villa Grisebach.

35 000 Euro insgesamt! Der Präsident war glücklich. Erst dachte er, MoMA-Raue spinnt, wie soll denn ein Schriftsteller Auktionator sein? Ich war mir auch nicht sicher. Zu Dieter Hoeneß, dem Manager von Hertha, habe ich gesagt: „Wissen Sie, das ist ja so, als müssten Sie jetzt den Dalai Lama vertreten.“ Später sagte Hoeneß zu mir: „Ich male und bin eigentlich ein musischer Mensch. Ich habe mich einmal an einer Akademie für Malerei beworben.“ Hoeneß hatte sich in meiner Jugend unsterblich gemacht, weil er mit blutendem Kopf im Pokalfinale das entscheidende Tor köpfte und Hertha später in die Championsleague führte, das mit der Akademie für Malerei wusste ich gar nicht.

Es war einer der schönsten Momente der letzten Woche. Versöhnlich auch. Der Manager, der brutale Fußballmarkt, und dann trotzdem dieser zarte Einspruch vom großen Hoeneß. Ich kann mir vorstellen, dass viele auf der Buchmesse so einen Einspruch auf den Lippen tragen werden. Hinfahren werde ich aber trotzdem nicht.

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