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AUF Schlag: Ein Tag in New York

Moritz Rinke beobachtet Amerikaner in Greenwich Village

New York, Perry Street in Greenwich Village, Café Doma. In der Wohnung am Hudson-River kann ich mich nicht konzentrieren, über mir ist der Ballettsaal der Merce-Cunningham-Company. Ich dachte immer, Merce Cunningham stehe für minimalistische Tanzkonzepte, trotzdem wackelte mein ganzes Zimmer.

Das Café Doma habe ich mir ausgesucht, weil hier manchmal Nicole Kidman einen Drehbuchautor treffen soll. Momentan sitzen hier aber etwa 20 Drehbuchautoren. Sie haben alle Stöpsel in den Ohren und schreiben amerikanische Serien. Ich höre das. Eben hat jemand neben mir gesagt „You look pretty fucked“, er meinte aber nicht mich, sondern er sagte es mehrmals vor sich hin, ich kenne das, ich sage auch oft Sätze beim Schreiben vor mich hin, aber nicht in der Öffentlichkeit „you look pretty fucked“.

Das Café Doma ist sehr klein und hat winzige Tische, an denen die Autoren sitzen, da könnte man so einen Satz schon mal falsch verstehen, wenn man nicht wüsste, dass hier an Serien gearbeitet wird. Vor mir sitzt ein Autor, dem ich auf den Bildschirm sehe. Er hat bisher nur einen Satz, ein Donald sagt: „I am prosexuell“. Was das ist? Google meint: m-bi, m-schwul, m-hetero, trans-m oder w-bi, w-lesbisch, w-hetero, trans-w, Donald ist das wohl alles zusammen.

Es gibt auch Drehbuchautorinnen. Sie piepsen leise vor sich hin, die eine knöpft jede Viertelstunde einen weiteren Knopf ihrer Bluse auf. Der Autor mit dem Satz „I am prosexuell“ ist in meinem Computerkabel hängen geblieben, er hat sich entschuldigt und gefragt, ob mir wichtige Daten verloren gegangen seien. Am liebsten hätte ich geantwortet, wenn ich keine Kolumne schreiben würde, sondern auch so eine Serie wie er, dann hätte ich ja Daten von ihm nehmen können. In Amerika hatte ich mit Drehbuch-Sätzen wie „I am bankrupt“ gerechnet, irgendwas über die Immobilienkrise, die größte Finanzkrise seit der Weltwirtschaftskrise 1929.

Die Autorin mit den Blusenknöpfen schreibt gar kein Drehbuch, sondern liest Obama-News, auch die anderen Autorinnen lesen Obama-News oder gucken Obama auf Youtube. Gestern hat mir die ungarische Fernsehkorrespondentin gesagt, sie sei in Obama verliebt und habe Angst, dass sie ihm während einer Liveschaltung plötzlich ihre Liebe gesteht. Und als ich von der MerceCunningham-Company erfahren wollte, was denn mit dem Minimalismuskonzept sei, probten sie gerade ein Obama-Ballett, das nach den Vorwahlen in Pennsylvania aufgeführt werden soll.

Vor zwei Tagen habe ich mit meinem Verleger den Autor Jonathan Safran Foer getroffen, auch er ein Obama-Fan. Er hat sogar für Obama Geld gesammelt. Obama hat im März 40 Millionen Spenden bekommen, eine halbe Million davon haben amerikanische Autoren gesammelt. Toni Morrison, Tony Kushner, Jonathan Franzen, Jhumpa Lahiri, Nicole Krauss, die ganze Liga. Das muss man sich mal in Deutschland vorstellen: wie Kumpfmüller, Zaimoglu, Jenny Erpenbeck und ich für Steinmeier sammeln, was da los wäre!

„I would ask you something about the real estate crisis“, sagte ich zu Safran Foer, aber dann ging er mit meinem Verleger die letzte 37-minütige Obama-Rede durch. Die US-Immobilienkrise ist nur bei uns Thema. Die Deutschen sind hysterisch, und die Amerikaner beschäftigen sich mit Obama oder Prosexuellem, so ist die Lage. In New York war vorgestern Sturm mit Wolkenbrüchen, 20 Grad. Gestern null Grad mit Hagel. Heute starker Nebel. Die Klimakatastrophe ist aber auch kein Thema.

Gerade ist einer der Drehbuchautoren vor die Tür gegangen und macht Klimmzüge an der Fußgängerampel. Ich gehe jetzt zurück in die Wohnung am Hudson-River. Das Obama-Ballett geht immer um fünf nach Hause.

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