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AUF Schlag: Lass Heide reden

Moritz Rinke über seinen Epo-Dogma- Film „Die Nacht der Wahrheit“

Es war Johann Mühlegg, der mich zu meinem ersten Kurzfilmdrehbuch inspirierte. Mühlegg war ein Vorläufer von Jörg Jaksche. Von Mühlegg bis Jaksche ist über unsere Leistungsgesellschaft einiges ans Licht geraten: Jan Ullrich, der spanische Arzt Eufemiano Fuentes, der Doktor Frankenstein des Dopings mit seinen Blutbeuteln. Und jetzt also Jaksche, der behauptet, die Radteams von Polti über Telecom bis CSC und Liberty Segurus seien auch bei Doktor Fuentes gewesen, also eigentlich alle.

Mein Drehbuch wird immer komplexer, ich muss schon Tag und Nacht koksen, um alle Details einzubauen, zum Tour-de-France-Gucken komme ich gar nicht mehr.

Der Film spielt im Morgengrauen, aus allen Trophäenschränken der Welt brechen die Goldmedaillen ihrer Besitzer aus und rollen über die Straßen zum 70. Geburtstag des Doktors, ihrem Epo-Vater. Neben den rollenden Goldmedaillen fliegen auch Gelbe Trikots heran, die manchmal um die Medaillen herumsausen wie Gespenster. Der Film ist mit Gruselmusik unterlegt nach dem Motto, da kommt noch was.

Als alle eingetroffen sind, erhebt sich der Epo-Vater an der Festtafel und sagt: „Schön Kinder, dass alle gekommen sind!“ Zuerst würde die Medaille von Franziska van Almsick aufstehen und sagen: „Auf Papa!“ Bevor aber irgendjemand Flüssigkeit zu sich nehmen kann, flattert das Siegertrikot der Rundfahrt Paris– Nizza von Jaksche in die Luft und sagt: „Nun ist die Nacht der Wahrheit gekommen, Vater, der ich dich nur noch einmal so nenne, du hast uns betrogen, wir sind nicht die Geschöpfe Gottes, wir sind nur aus deiner Epo-Kiste, du Schwein.“ Harter Moment, wie der Vater-Sohn-Konflikt im Dogma-Film „Das Fest“.

Dann würde sich der Epo-Vater das Jaksche-Trikot zur Brust nehmen und sagen: „Du Hemd, ich reiß dich in Stücke!“, doch plötzlich kommt, als sei es Großmutter, die Medaille von Heide Rosendahl und sagt: „Lass den Jungen los, schon dein Großvater hat uns betrogen! Gestern Anabolika, heute Epo! Wir sind alle nicht echt!“ Die Medaille von Josef Neckermann springt auf: „Was redest du denn da, Heide, du verlogenes Stück Blech?!“ „Lass Heide reden, Josef, sonst reisen wir nur noch mit Tui!“, kreischen die Medaillen von Rosi Mittermaier und Ulrike Meyfarth. Chaotische Szenen wie in „Einer flog übers Kuckucksnest“. „Skandal“, kreischt Rosi, „wer ist denn hier noch alles unecht??“ – und nun versuchen 5000 Medaillen und Gelbe Trikots aus dem Raum zu kommen inklusive Rudi Altig, genannt die „rollende Apotheke“.

„Keiner verlässt die Feier!“, brüllt Heide, „Saftladen!!“, und plötzlich kullern die Bundesverdienstkreuze von Dieter Hildebrandt, Siegfried Lenz und Martin Walser in den Saal. Und das Kreuz von Walser hält sofort eine Paulskirchenrede darüber, dass eine Gesellschaft, die Spitzenleistung vergöttert, schwerlich Bedenken hat, wenn man ihr sagt, wie man mit allen Mitteln Leistung steigert. „Musst du grad sagen!“, faucht der Epo-Vater, „du hast doch NSDAP genommen, genauso schlimm!“

„Wussten wir aber nicht!“, zischt das Hildebrandt-Kreuz, und dann passiert etwas, womit keiner gerechnet hat. Die Nobelpreis-Urkunde von Günter Grass rauscht durchs Fenster. „Hallo. Ich war nicht nur in der Waffen-SS, ich war auch bei Doktor Fuentes, wie soll ich es denn sonst so lange als moralische Instanz aushalten?“

Plötzlich klatscht ein Blutbeutel von Angela Merkel auf die Festtafel. Irrer Moment. Stille. Dann nimmt die Nobelpreis-Urkunde die Mundharmonika, Szene wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Tolles Ende.

PS: Damit gewinn ich die Documenta!

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