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AUF Schlag: Mumifiziert Uwe Seeler!

Moritz Rinke denkt über Nofretete, Ramses und den DFB nach: Müsste Uwe Seeler nicht auch für die Ewigkeit konserviert werden?

Letzte Woche stand ich in Kairo zwischen Hunderten von deutschen und ägyptischen Altertumsforschern. Es war die 100-Jahr-Feier des Deutschen Archäologischen Instituts im illuminierten Innenhof vor dem Ägyptischen Museum unweit des Nils. Es gab Säfte, Kebab und Shawerma. Ein hundert Jahre alter deutscher Chor aus Kairo sang „Wenn ich ein Vöglein wär’/ Und auch zwei Flüglein hätt’/ Flög ich zu dir ...“ Diplomaten lauschten neben bärtigen Forschern aus Assuan von der Elefanteninsel.

„Das Lied ist eine Anspielung“, flüstert mir ein deutscher Diplomat ins Ohr, das hieße natürlich: „Wenn die Nofretete ein Vöglein wär, flög sie nach Kairo, da sie aber kein Vöglein ist, behalten wir sie!“

„Ach so“, sage ich und schaue mir die Gesichter der ägyptischen Delegation an, insbesondere das von Sahi Hawass, dem mächtigen Generalsekretär der Altertumsbehörde, von dem man behauptet, er betrachte alle Mumien, Totenmasken und Tontöpfe so, als habe er sie persönlich ausgegraben. Hawass fordert seit Ewigkeiten die Deutschen auf, die Büste der Nofretete als Leihgabe herauszugeben, die Deutschen haben aber „konservatorische Bedenken“ und sagen, sie sei zu zerbrechlich, sie müsse im Alten Museum in Berlin bleiben. Hawass hält das für Unfug, die Gattin des Echnaton sei reisefähig, schließlich gäbe es Watte.

Als ich mir Sawi Hawass länger anschaue, wird mir klar: Wenn wir die Nofretete wirklich rausgeben, dann ist sie weg, die nimmt der mit nach Hause, das „konservatorische Bedenken“ wird uns wie ein Bumerang um die Ohren fliegen. Andererseits: Sogar Hermann Göring hatte versprochen, dass sie nach Ägyptern zurückkehren würde, und es war Hitler, der sie nicht rausrücken wollte. Dürfen wir sie also wirklich behalten?

Nach dem Vöglein-Lied wird eine Ausstellung mit nubischen Siegeln aus dem Jahre 2375 v.Chr. eröffnet, die beweisen, dass man in Ägypten noch vor Mesopotamien schreiben konnte; deutsche und ägyptische Archäologen streiten sich vor den Vitrinen um irgendwelche Datierungen von Elfenbeinschnitzereien, und auch hier liegt der Nofretete-Konflikt über allem. Ich entweiche in die Mumien-Ausstellung und stehe ganz allein vor der Mumie von Ramses II, dem bedeutendsten Herrscher des alten Ägypten, der mit den Hethitern den ersten Friedensvertrag schloss, den es je gab. Unglaublich, was von Ramses alles erhalten ist: Haare, Zähne, Hakennase, sogar der Penis soll mumifiziert sein, alles hatte man mit Palmwein abgerieben, in Natron gebadet, mit Kräutern, Myrrhepulver, Bienenwachs und Blüten ausgestopft und in Leinebinden gehüllt. Mir wird schwindelig, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass ich auf eine über 3000 Jahre alte Nase schaue und auf einen menschlichen Gesichtsausdruck, den ich nicht unbedingt gruseliger finde als den von Sawi Hawass oder den streitenden Archäologen vor den nubischen Vitrinen.

24 Stunden später bin ich beim Deutschen Fußballbund in Frankfurt. Ich sitze im Kuratorium der DFB-Kulturstiftung und wir beraten über ein Fußballmuseum. Später stehe ich nach dem WalesSpiel im Fahrstuhl des Hotels, die Tür geht auf und Uwe Seeler steigt zu, der Ehrenspielführer. Ich schaue sofort auf seinen Hinterkopf! Dieses berühmte Tor, Mexiko 1970, Viertelfinale gegen England: Flanke Schnellinger von rechts, Seeler mit Hinterkopf, 2:2, Verlängerung, Gerd Müller, 3:2, Rache für Wembley.

Ich stand noch nie mit einem so berühmten Ehrenspielführer im Fahrstuhl und denke sofort an Ramses II, die Mumie! Ich schaue so ehrfürchtig auf Seelers Hinterkopf wie auf die Mumie des ägyptischen Herrschers. Ich hätte längst aussteigen müssen, fahre aber mit Seeler weiter. 1970 war ich kaum geboren, und natürlich hat sein Tor das Fernsehen mumifiziert, trotzdem sehe ich auf Seelers Hinterkopf und stelle mir vor: mit Palmwein abreiben, in Natron baden, mit Kräutern, Myrrhepulver, Bienenwachs und Blüten ausstopfen und in Leinebinden hüllen. Und niemals nach Ägypten ausleihen!

Als Seeler oben ausstieg, stieg ein anderer ein. Ich fuhr dann bis ganz nach unten mit Karl-Heinz Rummenigge.

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