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AUF Schlag: Schluss, aus, fertig!

Rainer Moritz sehnt sich nach einer langsameren Welt

„Jeder Weg hat mal ein Ende, jedes Glas bricht mal entzwei“, sang einst Marianne Rosenberg. Das muss damals gewesen sein, als sich die Menschen noch Zeit ließen, eine Sache zu Ende bringen. Heute geht alles viel schneller, heute ist man geübt darin, Adieu auszurufen, kaum dass man sich begrüßt hat. Das gilt für Partnerschaften, die heute – am besten per SMS – aufgekündigt werden, sobald sich am Horizont eine interessantere Schönheit abzeichnet oder Boris Becker und Lothar Matthäus um die Ecke biegen und ihr Singledasein mal wieder beenden wollen. Fernsehmoderatoren verlieren ihren Sendeplatz, ehe sie sich an ihn gewöhnten; Topmanager finden sich von heute auf morgen in der Wüste, wenn auch meist ohne finanziellen Sorgen.

Ja, selbst im kulturellen Leben mangelt es an jenem Langmut, der aus Martin Walser, dessen Erstling sich seinerzeit nicht einmal 1000 Mal verkaufte, zwanzig Jahre später einen Bestsellergaranten machte. Stattdessen überall die rasante Vernichtung. Nichts als Hektik, Panik, Hysterie, wohin man schaut: Romane, die zwei Wochen unbewegt im Regal des Buchhändlers stehen, werden für die Remission vorbereitet, und selbst die in den Verlagen Verantwortlichen rechnen stündlich damit, sich gleichfalls auf der Strafbank wiederzufinden.

Nehmen Sie die Ernst Klett AG, ein vermeintlich solides Unternehmen, das sich lange einen Belletristikzweig, Klett-Cotta, gönnte. Seit ein paar Wochen jedoch fliegen im gemächlichen Stuttgart die Fetzen; die Branchenpresse vermeldet aus dem schwäbischen Narrenstadl ein tägliches Stühlerücken, dessen Regisseure so weit gingen, ihren eben gegründeten Imprint-Verlag Booklett einzustellen, ehe dieser seine ersten Titel auslieferte – ein Novum in der Buchhandelsgeschichte. Auch im vom Feuilleton stets gepriesenen Marebuch-Verlag muss Verleger Nikolaus Hansen jählings seinen Seemannskoffer packen – ohne Rücksicht auf die Autoren seines Frühjahrsprogramms, die ihre Bücher nun im Nirwana herausbringen.

Geduldiger zeigte man sich, auf den ersten Blick, im börsennotierten Hause Eichborn, wo man stolze 28 Jahre an Vorstand Matthias Kierzek festhielt. Möglicherweise war das ein Irrtum, denn der nachtretende Ex-Verleger Vito von Eichborn erklärt lauthals, dass jener Kierzek von Anfang an „unfähig“ gewesen sei. Eine Verschleierung von knapp drei Jahrzehnten also. Wohin soll dieses Hauen und Stechen führen? Selbst vor meiner Haustüre gibt es keine Konstanz mehr: Einer überteuerten Floristenboutique nebenan folgte ein alberner Geschenkartikelladen, der ein Jahr aushielt, ehe er einem Pseudoedelökoladen Platz machte, dem ich allenfalls vier Monate gebe. Kein Stein bleibt auf dem anderen, nirgendwo. Früher nannte man das die „Unbehaustheit“ der Moderne. Ich bin froh, wenn morgens wenigstens die Zeitung meinem Briefkasten blitzt. Zum Glück würde niemand wagen, Kolumnisten den Stuhl vor die Tür zu setzen.

Rainer Moritz

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